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Buchbesprechung

Annäherung im Krebsgang


Autor



Rainer Nonnenmann, geboren 1968, studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Deutsche Philologie an den Universitäten Tübingen, Köln und Wien. Promotion 1999, Ernennung zum Honorarprofessor 2012, heute ist er Professor für Neue Musik an der Musikhochschule Köln.


Kaufinformationen

Rainer Nonnenmann: Der Gang durch die Klippen - Helmut Lachenmanns Begegnungen mit Luigi Nono anhand ihres Briefwechsels und anderer Quellen 1957 - 1990

Breitkopf & Härtel

ISBN 978-3-7651-0326-1

Gebunden, 480 Seiten, 54 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor


 

 

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Îm Kosmos einer langen Freundschaft

Innerhalb der musikalischen Avantgarde nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Begegnungen von Luigi Nono und Helmut Lachenmann nahezu einzigartig. Sie gehören zweifellos zu den ganz großen Lehrer-Schüler-Beziehungen in der Musik des 20. Jahrhunderts und sind nicht zu vergleichen mit den an Konservatorien und Musikhochschulen geregelten und institutionalisierten Studienverhältnissen“, beginnt Rainer Nonnenmann sein rund 480 Seiten umfassendes Werk Der Gang durch die Klippen, das bei Breitkopf & Härtel 2013 erschienen ist und „Helmut Lachenmanns Begegnungen mit Luigi Nono anhand ihres Briefwechsels und anderer Quellen 1957 - 1990“ behandelt.

Wissenschaftliche Publikationen dienen eigentlich dazu, mehr oder minder standardisiert Erkenntnisgewinne einem breiteren wissenschaftlichen Publikum in einer geeigneten Fachsprache mitzuteilen, um so die akademische Forschung und Diskussion voranzutreiben. Das bedeutet in der Regel den Ausschluss anderer Publika, ob gewollt oder nicht. Dass diese Abgrenzung meist eher dem – sprachlichen respektive stilistischen – Unvermögen der Autoren geschuldet ist, zeigt Nonnenmann mit seiner Geschichte aus der Geschichte. Denn die Avantgarde um Stockhausen, Nono, Lachenmann, Boulez, Cage und anderer ist längst Historie. Aber er erzählt uns einen Film für das Kopfkino.

Nonnenmann lässt die Ereignisse am Beispiel einer äußerst komplexen Beziehung wieder aufleben. Und er entführt auch den Nicht-Akademiker in die spannende Epoche, in der Musiker versuchten, die Musik unter den verschiedensten Aspekten neu zu erfinden. Da gab es in den 1950-er und 1960-er Jahren die Allwissenden, die Zweifler, die Adepten, die Klugscheißer, die Aficionados und die Schüler – die alsbald zu den Lehrenden aufschlossen. Wissenschaftlich fundiert, erzählt der Autor nicht nur von der langsam reifenden Freundschaft des Italieners mit dem Deutschen über mehr als 30 Jahre, quer durch alle Klippen, die so eine Freundschaft zu überwinden hat, sondern baut – quasi en passant – ein stimmungsvolles Szenario der damals herrschenden Aufbruchstimmung.

Gleichsam faszinierend die Formen der Kommunikation, die uns heute so fremd wie von einem anderen Planeten erscheinen. Tonbandaufnahmen sind wichtige Lehrmittel, Uraufführungen sind nur dann interessant, wenn sie vom Rundfunk dokumentiert werden. Postkarten und Briefe verbinden die Menschen über Länder hinweg – ohne dass sich im Wesentlichen jemand über die Dauer des Versands erregt hätte; im Zweifelsfall musste halt noch ein Telegramm herhalten.

Mit großer Sachlichkeit, wie es sich für ein wissenschaftliches Werk gehört, dokumentiert Rainer Nonnenmann den Briefwechsel zwischen Nono und Lachenmann bis zum Ende, zeigt die Sentimentalitäten der beiden inzwischen in inniger Freundschaft verbundenen Männer bis zum Tode Nonos 1990 auf.

Was nach dem Briefwechsel zwischen Luigi Nono und Helmut Lachenmann bleibt? Das Gefühl, aus einem anderen Kosmos wieder aufzutauchen, viel verstanden zu haben, was bisher vielleicht nicht verständlich war, und den eigenen Begriff von Freundschaft neu zu überdenken. Manchmal kann Wissenschaft richtig spannend sein.

Michael S. Zerban, 10.8.2015