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Fakten zur Aufführung 

Mit Mikrofon und Fragebogen in die Grundschule


Andreas Lehmann-Wermers
(Hrsg.)


Nach langjähriger Tätigkeit als Lehrer an Gymnasien und Gesamtschulen in Niedersachsen ist Andreas Lehmann-Wermser seit 2004 als Hochschullehrer an der Universität Bremen. Er ist Direktor des Zentrums für Lehrerbildung und Leiter einer Forschungsgruppe, die sich mit Unterrichtsforschung und kultureller Bildung beschäftigt.


Kaufinformationen

Andreas Lehmann-Wermser (Hrsg.): Mit Mikrofon und Fragebogen in die Grundschule – Jedem Kind ein Instrument (JeKi) – eine empirische Längsschnittstudie zum Instrumentalunterricht

Waxmann Verlag

ISBN 978-3-8309-3123-2

Broschiert, 196 Seiten, 30 Euro


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Was JeKi taugt

Mit ihrer Längschnittstudie zum bundesweiten Musik-Förderprojekt Jedem Kind ein Instrument (JeKi) legen Lehmann-Wermser et al. einen empirischen Forschungsbericht vor, der für die wissenschaftliche Unterrichtsforschung und ein Fachpublikum gedacht ist, auch wenn sich die Herausgeber eine breitere Rezeption wünschen. Die Studie eignet sich in ihrer Differenziertheit und methodischen Genauigkeit eher für Fachdiskussionen als für breite Diskussionsrunden. Die Autoren haben die Fülle der Daten und Teilergebnisse geschickt zu mehreren zentralen Themen wie zum Beispiel der Frage nach den Transferleistungen von künstlerisch-musikalischem Unterricht und seiner Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung vor allem von Grundschülern zusammen gefasst und konzentrieren so ihre Interpretation. Für die praktische Arbeit in den Musikschulen und Grundschulen dürften vor allem die Kapitel sechs mit Hinweisen zu Wege(n) zur Kooperation und sieben mit einer Reihe von praktischen Empfehlungen wichtig und ertragreich sein.

Mit dem seit 2007 aufgelegten und inzwischen von mehreren Bundesländern übernommenen Förderprogramm Jedem Kind ein Instrument ergreifen die Bundsländer eine wichtige kulturpolitische Initiative. Das Programm wurde 2007 von der Kulturstiftung des Bundes, dem Land Nordrhein-Westfalen und der Zukunftsstiftung Bildung in der GLS Treuhand und zahlreichen Kommunen und Familien als Kooperationsprojekt der Kulturhauptstadt RUHR.2010 initiiert. Seit dem Schuljahr 2011/12 hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalen das Projekt übernommen und setzt es in einer Stiftung fort. Das Programm strebt eine Beteiligung möglichst aller Kinder am Instrumentalunterricht an und versucht, „besonders Kinder aus bildungsfernen oder finanzschwachen Familien durch gezielte Ansprache und entsprechende Fördermöglichkeiten für eine Teilnahme zu gewinnen“. Es beginnt mit dem ersten und endet nach dem vierten Grundschuljahr. Jedes beteiligte Kind kann sich kostenlos ein Instrument für drei Jahre ausleihen und erhält einen Zuschuss zum Musikunterricht.

Kein Wunder, dass ein solch ambitioniertes und teures Programm aus finanzieller, (musik)pädagogischer und bildungspolitischer Sicht sorgfältig begleitet und überprüft werden muss. Eine solche Evaluation gibt es seit 2009 in mehreren Schritten und Studien. Lehmann-Wermser et al. legen den Abschlussband eines Forschungsverbundes der Universitäten Bremen und Hamburg vor und kommen für die Schulen der untersuchten Länder in Nordrhein-Westfalen und Hamburg zu sehr differenzierten, auch zu erfreulichen Ergebnissen. Sie stützen ihre Ergebnisse und Einschätzungen auf umfangreiche Daten, die sie an rund 29 Schulen zu vier Erhebungszeitpunkten mit insgesamt 735 Schülern erhoben und multivariat ausgewertet haben.

Indem sie ihre Auswertung auf die vier Komplexe „Transfereffekte von Instrumentalunterricht“, „Entwicklung der Musikpräferenz“, „Kulturelle Teilhabe und Musik“ und „Wege zur Kooperation“ konzentrieren, erleichtern sie den Gesamtüberblick. Einige ihrer Teilergebnisse sind durchaus überraschend. So ist etwa der häufig beschworene positive Transfereffekt eines Musikunterrichts auf andere Schulfächer und -leistungen, der so genannte Mozart-Effekt, empirisch „nur bedingt nachweisbar“. Im Verlauf der Grundschule stellen die Forscher eine zunehmende Popularmusik-Orientierung fest. Sie berichten, dass die häufig vertretene Dichotomisierung – hier Klassik, da Popularmusik oder aktive versus rezeptive Musikpraxis – „der Vielfalt nicht gerecht werde(n).“ Bei der Entwicklung der Musikpräferenzen von Grundschülern wie bei dem komplexen Bereich „kulturelle Teilhabe“ weisen die Autoren nach, dass bisher genutzte Indizes zu kurz greifen, halten aber Einschätzungen für nachvollziehbar, wonach aufgrund „sozialräumlicher und kultureller Entwicklungen“ die elterliche Umgebung deutlich prägender sei als schulische Musikerfahrungen. Sie sehen Deutschland auf dem Weg „in eine neue Klassengesellschaft“, „die nicht nur über Einkommen und Vermögen, sondern auch über kulturelle Dimensionen und Bildungsaspirationen … und Alltagsästhetik“ verläuft – politisch äußerst spannende und weitreichende Befunde. Die thematisch gebündelten und empirisch vielfach gesicherten Ergebnisse dürften auch für Praktiker in Musikschulen und den Musikunterricht in den Grundschulen wichtig und anregend zugleich sein. Sie können beispielsweise erfahren, dass eine intensive Zusammenarbeit zwischen JeKi-Lehrkräften und Grundschullehrkräften ein wichtiger Faktor mit erheblichem Unterstützungspotenzial ist, aber auch „ein Kriterium bei der Zufriedenheit mit den Rahmenbedingungen der Kooperation“.

Andreas Lehmann-Wermser, Veronika Busch, Knut Schwippert, Sonja Nonte und weitere Mitarbeiter haben dem Projekt Jedem Kind ein Instrument mit ihrer methodisch sorgfältigen und konzentrierten Studie eine zusätzliche Legitimation gegeben, die Bildungspolitiker erneut und verstärkt von der immensen Bedeutung kultureller Bildung überzeugen müsste. Für die Verbreitung zahlreicher Einzelaspekte ist eine konzentrierte Form und Verbreitung der Studie sehr wünschenswert.

Horst Dichanz, 4.11.2014