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Fakten zur Aufführung 

Mehr als schöne Stimmen


Bjørn Woll


Bjørn Woll studierte in Landau und Köln Querflöte, Gesang, Musikwissenschaft und Psychologie. Seit 2008 ist er Chefredakteur der Musikzeitschrift Fono Forum. Zudem arbeitet er als freier Journalist sowie als Moderator. Seit 2012 ist er Lehrbeauftragter für Musikjournalismus an der Technischen Universität Dortmund. Woll ist Mitglied der Jury des Preises der Deutschen Schallplattenkritik in der Kategorie Oper und Gründungsmitglied des International Classical Music Award.


Kaufinformationen

Bjørn Woll: Mehr als schöne Stimmen - Alltag und Magie des Sängerberufs

Edition Körber-Stiftung

ISBN 978-3-89684-159-9

Gebunden, 304 Seiten, 19 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor



 
 

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Mehr als große Namen

In der Welt des Internet wird in diversen Foren und Blogs die schnelle Verurteilung der Opernsänger gehandhabt. Anonym kann man hier über jeden Zweifel erhaben unbarmherzige Kritik üben, die sich oftmals als üble Polemik entpuppt. Vermutlich wird diesen Leuten auch nicht das neue Buch über die Sängerstimme die Augen öffnen. Denn sie sehen einfach nicht, dass Sänger mehr sind als nur die Töne produzierende Maschine. „Mehr als schöne Stimmen“ ist daher ein passender Titel, den Musikjournalist Bjørn Woll für seinen Rundum-Überblick über die Lebensbühne des Sängerberufes gewählt hat. Kein sonderlich unerforschtes Thema, aber eines, über das es sich zu berichten lohnt. Und ein Leserpublikum sollte dafür ausreichend vorhanden sein. Der interessierte Laie kann in den unzähligen Sängerberichten schmökern und hat für die Pausengespräche nun genügend Anekdoten und Infos parat. Der angehende Sängereleve erfährt aus zweiter Hand, dass der Beruf alles andere als Glanz und Gloria ist.

Wolls Ausführungen auf knapp 300 Seiten kann man ohne großes Fachwissen folgen und sie erweisen sich als sehr kurzweilig, zumal der Autor auf endlose Schachtelsätze verzichtet, sondern sie nüchtern und strukturiert niederschreibt. In acht Kapiteln plus Auftakt und abschließender Coda beschäftigt sich der Autor mit zentralen Themen des Sängerberufes. Das Instrument der Stimme darf dabei ebenso wenig fehlen wie Rollenauswahl, Sängeralltag und Krisen. Bei letzterem wird vor allem durch das Gespräch mit einem berühmten Hals-Nasen-Ohren-Arzt die medizinische Seite beleuchtet. Interessant ist auch zu sehen, wie berühmte Sänger aus vergangener und aktueller Zeit mit Lebenskrisen umgangen sind. An Zitaten mangelt es in diesem Buch auf keinen Fall, ebenso wenig wie an Persönlichkeiten: Von Christa Ludwig bis Christiane Karg, von Hans Hotter bis Miljenko Turk sind die Generationen hier vertreten – ein best of der bekannten Namen.

Vielleicht liegt hierin auch die größte Schwachstelle des Buches. Alle diese Persönlichkeiten haben es geschafft. Sie sind ihren Weg in einem steinigen Business gegangen. Dass ausschließlich sie hier zu Wort kommen, legt vor allem einen kommerziellen Gedanken nahe. Wer liest nicht gerne über Jonas Kaufmann und Diana Damrau? Doch was ist mit dem Sänger, der es heute bereut, damals zu wenig geübt zu haben? Was ist mit der Sopranistin, die ihre lange Stelle im geliebten Ensemble verloren hat, weil ein neuer Intendant kam und die Verträge nicht verlängert hat? Was ist mit dem Nachwuchs, der auf die Solistenstelle gehofft hat und heute auf einem Gastvertrag als Chormitglied hungert? Diese Liste dürfte noch länger sein als die der prominenten Namen. Um das Buch komplett zu machen, hätte man es auch von dieser Seite her beleuchten müssen.

Das hätte auch dem Kapitel der Nachwuchsförderung gut getan. Im Vorwort sagt Woll, dass auf dem Kapitel der Ausbildung junger Sänger ein „besonderes Augenmerk“ läge. Weder vom Umfang noch vom Inhalt her wird das Versprechen eingelöst. Die Diskussion um das derzeitige Ausbildungssystem dürfte so gut wie jedem bekannt sein, der nur ein bisschen mit der Materie vertraut ist. Dass die Sänger schon vor der Hochschule singen können müssen, weil ihnen – aus zeitlichen und lehrkörpertechnischen Gründen – dort zu wenig Technik beigebracht wird, ist mittlerweile ein alter Schuh. An diesen Stellen fehlt es an wirklich kritischen Stimmen. Die Moll-Töne des Betriebes werden nicht verschwiegen, aber die haarsträubenden Dissonanzen fallen zu oft unter den Tisch. Woll bleibt immer fair und neutral.

„Alltag und Magie des Sängerberufes“ ist der Untertitel seines Buches. Und genau diese Schere, zwischen der Sänger und Sängerinnen heutzutage arbeiten müssen, beschreibt der Autor sehr deutlich. Wo man nach einem frustrierenden Probentag und Stress in der Familie noch in der Aufführung am Abend dafür sorgen muss, dass der Zuhörer in seine magische Welt eintauchen kann. Nach der Lektüre dieses Buches hat man zumindest eine Ahnung davon, dass man hinter einem Sänger mehr sehen muss als nur die eine Abendleistung und seine schöne Stimme.

Christoph Broermann, 28.11.2014