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Buchbesprechung

Poetische Reise


Rolando Villazón


Rolando Villazón wurde 1972 in Mexiko Stadt als Enkel des Wieners Emilio Rothgeboren. Villazón besuchte die deutsche Schule in Mexiko-Stadt und begann seine künstlerische Ausbildung am dortigen Konservatorium. 1999 hatte er seinen internationalen Durchbruch und wurde zu einem der bedeutendsten und beliebtesten Sänger seiner Generation. Neben seiner Gesangskarriere arbeitet er auch als Opernregisseur und ist für sein zeichnerisches Talent bekannt.
Rolando Villazón lebt in Paris und ist Mitglied des Collège de Pataphysique.


Kaufinformationen

Rolando Villazón: Kunststücke

Rowohlt

ISBN 978-3-498-07065-6

Hardcover, 272 Seiten, 20 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor


 

 

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Die Poesie der Clowns

Auch das noch! Man hört förmlich den Aufschrei seiner Kritiker. Jetzt hat Rolando Villazón auch noch ein Buch geschrieben. Was wird das sein, wenn ein Opernsänger ein Buch schreibt? Eine Biographie, was sonst. So ist das mit den Vorurteilen.

„Woraufhin Macolieta das blaue Buch in seinem Schreibtisch verstaute und Claudio zum Ausklang der Geburtstagsfeier des neuen Clowns den Korken einer Flasche knallen ließ, die er unter den Clownsgerätschaften gefunden hatte. Aus dem Innern der Plastikflasche schossen Konfetti und Luftschlangen hervor, als hätte ein Regenbogen geniest, und es gab Umarmungen und Applaus und weitere Umarmungen, und die Spinne schrie ‚Glückwunsch!‘“

Villazón hat seinen ersten Roman mit dem vieldeutigen Titel Kunststücke vorgelegt, und es ist ein Meisterwerk melancholischer Poesie. Der preisgekrönte Übersetzer Willi Zurbrüggen, ausgerechnet aus Borghorst in Westfalen – „Westfalenblut ist keine Buttermilch!“ – hat den spanischen Text in ein träumerisches, bilderreiches und dabei modernes Deutsch übertragen. „Das Brummen des Motors verschluckt den Rest des Gesprächs, und dann schießt der Wagen davon, der Karawane hinterher. Es wird immer kleiner und kleiner und kleiner. Schließlich ist er nur noch ein gelbes Konfettipünktchen, das, plopp, verschwunden ist.“

Wir begegnen drei Clowns und einem Schachspieler. Die Clowns gehören zu den ganz Kleinen ihrer Branche. Auf Geburtstagen begeistern sie die Kinder, und als schließlich zwei von ihnen in einem Wanderzirkus unterkommen, empfinden sie das als den Gipfel ihrer Karriere. Der dritte, Macolieta schreibt derweil an einem Buch, das von einem ausgesprochen erfolgreichen Clown handelt. Beiden gemein ist zunächst die unerfüllte Liebe, später der Schmerz, der den einen behindert, den anderen die große Karriere kostet. Über rund 270 Seiten nähern sich die Leben der beiden aneinander an, bis sie schließlich zu verschmelzen scheinen. „Er betrachtet ihrer beider Schatten, lauscht den Wellen und dehnt noch für ein paar Sekunden den Glücksmoment hinaus, indem er den Kopf wendet und sie nackt vor sich stehen sieht, umflutet von den Sonnenstrahlen der neuen parallelen Welt.“

Wer mag, wird in dem bezaubernden Roman, der vom Lebensgefühl her sehr französisch anmutet, die eine oder andere Parallele zu Villazóns Leben sehen. Die lange Zwangspause nach der existenziell bedrohlichen Krankheit könnte solch ein Hinweis sein. Auch die Auseinandersetzung mit dem Ruhm, seiner überschätzten Bedeutung und Vergänglichkeit könnte auf die Einstellung des Startenors verweisen. Aber das ist alles schon sehr weit hergeholt. Und so erscheint der Roman als eigenständiges Werk, das den Leser von der ersten Seite an in die Melancholie und Unentschiedenheit des Protagonisten hineinzieht. Er wird Teil der kleinen Welt von Macolieta mit dem Zentrum seiner Wohnung, der vertrocknenden Sonnenblume, dem verwässernden Bild des Schachspielers und immer neuen Auszügen aus dem „Blauen Buch“, in dem wiederum eine eigene Welt entsteht. Und wenn der Leser das Buch aus der Hand legt, weiß er, dass die Botschaft nicht neu, aber fantasievoll und frisch daherkommt: Habe Mut zum Träumen und die Welt mit eigenen Augen neu zu sehen.

Das Erstlingswerk ist genau die richtige Lektüre für die bevorstehenden Herbsttage, um sich im gemütlichen Sessel unter einer Decke zu verkriechen und bei einem Gläschen Rotwein in Macolietas Welt abzutauchen. Ach ja, und natürlich die Sache mit den eigenen Vorurteilen noch mal zu überdenken.

Michael S. Zerban, 3.10.2014