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Buchbesprechung

Gekonnte Aufarbeitung


Herausgeber



Wolfgang Ruppert, geboren 1946 in Hof an der Saale, studierte Geschichte, Germanistik, Soziologie, Politologie und Kunstgeschichte in München. Seit 1988 ist der Kulturhistoriker Professor für Kultur- und Politikgeschichte an der Universität der Künste Berlin.


Kaufinformationen

Wolfgang Ruppert (Hg.):
Künstler im Nationalsozialismus

Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien

ISBN 978-3-412-22429-5

Französische Broschur, 372 Seiten,
45 Euro


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Buchidee

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Das süße Gift der Ambivalenz

Dieser Band mit insgesamt 17 Beiträgen geht auf eine Tagung zurück, die die Arbeitsstelle für kulturgeschichtliche Studien der Universität der Künste, UdK, 2013 in Berlin durchführte. Wolfgang Ruppert, Kulturhistoriker und Professor für Kultur- und Politikgeschichte an der UdK ist bestens ausgewiesen als Kenner der Kulturszene im Nationalsozialismus, hat diesen Band mit viel Sachverstand und Sorgfalt herausgegeben und der Diskussion zum Thema „Künstler im Nationalsozialismus“ zahlreiche neue Aspekte hinzugefügt.

In knappen, prononcierten Worten macht Martin Rennert, Präsident der UdK, auf das „süße Gift“ ambivalenter Haltungen aufmerksam, bevor „aus Denkfaulheit, Trägheit und Zögern Komplizenschaft“ wird. Solchen Sachverhalten und historischen Entwicklungen sind Ruppert et al. mit ihren Untersuchungen auf der Spur. Ihnen geht es nicht um den oft unterstellten „totalen Zwang“ gegenüber Kunst und Künstlern, nicht um die Bösen und die Guten. Die Autoren fragen nach der Kunstpolitik im Nationalsozialismus, nach den nationalsozialistischen Akteuren, den künstlerischen Leitbildern und in mehreren Fallstudien nach einzelnen Künstlern und ihren Handlungsspielräumen.

Nach einer Einleitung Rupperts zur Entwicklung der Berliner Kunsthochschule von der 1696 gegründeten „Akademie der Künste“ zu den „Vereinigten Staatsschulen“ im Nationalsozialismus in Berlin bis zur Gründung der UdK im Jahre 2001 wendet er sich in einem ausführlichen Kapitel dem Hauptthema „Künstler im Nationalsozialismus“ und der Kulturszene um die Berliner Kunstschule zu. Welch aberwitzige Auswüchse die Versuche der „Säuberung“ der Vereinigten Staatsschulen nach 1933 erreichten, verdeutlicht eine Statistik nicht arischer Studenten, in der es heißt: „… 1935 wurden zwölf ‚Nichtarier‘ gezählt, dies waren drei ‚Volljuden‘, sonst ‚1/2 und 1/4 Juden‘, was einem Anteil von 0.63 % von 320 Studierenden entsprach.“ Die folgenden Darstellungen zahlreicher Künstler, von denen einige noch in der Weimarer Republik ihre Ausbildung erhielten, andere aus der „Kriegsjugendgeneration“ mit größerer Nähe zum Nationalsozialismus stammten, enthalten wichtige Analysen der historischen Zusammenhänge und Entwicklungen, aber auch manche Überraschung aus der Biographie einzelner Künstler. Die Anfang 1933 noch mögliche öffentliche Debatte darüber, „was ‚deutsche Kunst‘ sein solle“, war nur noch ein kurzer Frühling, danach nahm die „Eindeutschung“ des Kunstbetriebes ihren kompromisslosen Lauf. Als Verkörperung dieser Eindeutschung kann Brekers Zehnkämpfer am Eingang des Olympiageländes in Berlin betrachtet werden, diese Monumentalskulptur „kam Hitlers Vorstellung von einer neuen ‚deutschen Kunst‘ entgegen“, Breker gab der Idee vom „Herrenmenschen“ eine „Figur jenseits des menschlichen Maßes“ und „brachte damit die rassebiologische Vorstellung ‚des Ariers‘ aus der geistigen Fiktion in die materielle Form eines mythischen Idealismus“.

Konsequent beginnt Nina Kubowitsch das erste Kapitel  mit einer Darstellung der Funktion und Macht der Reichskammer der Bildenden Künste, die seit dem 22. September 1933 „den kulturell schaffenden Volksgenossen Rechte und Pflichten“ erteilte und sie „als vollwertiges Glied der Nation“ in die Aufbauarbeit einbezog. Die Zugehörigkeit der Reichskammer zum Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda bedarf kaum einer Erklärung. Ihre Aufgaben, „die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten“ der verschiedenen Künstlergruppen zu regeln“, konkretisierte die Kammer häufig in Mal- und Berufsverboten. Mit dieser großen, machtvollen Behörde kam im Deutschland des Nationalsozialismus jeder aktive Künstler in Berührung. Anhand zahlreicher Einzeldokumente weist Kubowitsch allerdings nach, dass die Reichskammer hinter ihren eigenen Ansprüchen zurück blieb und sich konkret manchem Künstler Spielräume boten. In der Zeit des Umbruchs und des Personenaustausches ab 1933 sieht Ruppert neben den Eingepassten und Angepassten eine große Zahl von Lehrenden und Studierenden, die in beharrlicher Kontinuität unbeirrt und ohne Beeinträchtigung ihre bisherige Arbeit fortsetzten, solange ihr künstlerisches Arbeiten nicht völlig aus dem Spektrum der „deutschen Kunst“ heraus fiel.

Christian Fuhrmeister untersucht die Bedeutung der von 1937 bis 1944 existierenden Großen Deutschen Kunstausstellung und sucht die Gründe dafür, dass die in ihr zu findende Kunst bis heute „ ausgegrenzt, tabuisiert“ wird – „kulturpolitisch wie individuell“. Er plädiert wie Ruppert für eine vorurteilsfreie, „ergebnisoffene“ Analyse der so genannten „Nazikunst“. Die weiteren Beiträge untersuchen detailliert andere Institutionen und Künstler, die in der NS-Zeit mit unterschiedlichem Spielraum tätig waren, so unter anderem Oskar Schlemmer, Käthe Kollwitz, Emil Nolde und Felix Nussbaum. Die Beiträge sind alle bestens dokumentiert, zum Teil illustriert und durchweg spannend zu lesen. Kurze biographische Notizen zu den einzelnen Autoren schließen den Band ab.

Rupperts Buch wendet sich an ein wissenschaftlich interessiertes Fachpublikum, das sich in den Grundzügen des Nationalsozialismus auskennt. Ruppert et al. erläutern mehrfach ihre Fragestellungen und Forschungsmethoden. Ein umfangreicher Apparat von Fußnoten und Anmerkungen, der in dem 370 Seiten umfassenden Werk gut 70 Seiten ausmacht, belegt zusätzlich den wissenschaftlichen Anspruch dieses Tagungsbandes. Die Erforschung der Universitätsarbeit während des Nationalsozialismus ist noch längst nicht in allen Fächern geleistet. Der von Ruppert betreute Band liefert hierfür ein gelungenes Beispiel.

Horst Dichanz, 6.8.2015