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Buchbesprechung

Kein neuer Holländer


Autor



Ruprecht Frieling ist ausgewiesener Wagner-Experte. Der Betreiber des ersten deutschsprachigen Opern-Blog hat bereits mehrere erfolgreiche Opern(ver)führer vorgelegt sowie den Ring des Nibelungen mit Kaminski on air für Bühne, Video und Hörbuch produziert. Für seinen Ring erhielt Frieling den Preis der deutschen Schallplattenkritik.


Kaufinformationen

Ruprecht Frieling:
Der fliegende Holländer

Internet Buchverlag

ISBN 978-3-941286-14-6

E-Book, 180 Seiten, 2 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor


 

 

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Ende der Verführung

Es gibt nicht wenige Menschen, die glauben, dass mit dem Internet auch das Ende des Buches gekommen ist. Ausgerechnet im Bereich der so genannten Hochkultur scheint dieses Ende schneller zu kommen als vielleicht erwartet. Wer heute etwas über eine bestimmte Oper wissen möchte, gibt den Namen des Werkes bei einer Suchmaschine ein – und wird mit Material überschüttet. Entstehungsgeschichte, Bedeutung des Werkes, Interviews mit Menschen, die zu dem Stück etwas zu sagen haben, in Wort, Bild und Ton und so weiter und so fort. Alles Wissenswerte ist mit wenigen Klicks zusammengetragen. Weitaus mehr, als ein Buch erfassen kann. Das alles in der Regel auch noch kostenfrei. Wozu also noch allen Ernstes zur Buchhandlung schreiten, um einen Opernführer zu erwerben? Gewiss, Loriots Kleinen Opernführer findet man auch heute noch nicht im Internet. Möchte man auch gar nicht, weil die Haptik fehlte.

Andererseits sind die Produktion und der Vertrieb von Büchern noch nie so schnell, kostengünstig und professionell möglich gewesen wie in Zeiten des Computers respektive des Internets. Gerade elektronische Bücher können mit vergleichsweise geringem Aufwand am heimischen Schreibtisch hergestellt werden. Große Versuchung für alle, die sich berufen fühlen, ein Buch über was auch immer zu schreiben. Selbst wenn sich nur wenige kaufwillige Leserinnen oder Leser finden, ist zumindest das Ego des Verfassers befriedigt. Zu seiner Bekanntheit kann es überdies beitragen. Und wer weiß, vielleicht gelingt ja sogar der ganz große Wurf?

Publizist Ruprecht Frieling hat sich nach eigenem Bekunden zum Ziel gesetzt, „möglichst vielen Menschen das Musiktheater unkompliziert näherzubringen und ihnen die Schwellenangst zu nehmen“. Mit Der fliegende Holländer hat er einen 180 Seiten starken „Opern(ver)führer“ als E-Book verfasst. Und das fängt auch ganz spannend an, wenn er zunächst den realen Hintergrund der Legende vom Fliegenden Holländer erzählt. Es folgt der Bericht über Richard Wagners Seereise von Pillau nach London sowie die Entstehung der Oper und den grandiosen Erfolg der Uraufführung in Dresden. Nachdem Der fliegende Holländer als Beziehungsdrama ausgelotet ist und Frieling den Holländer als alter ego Richard Wagners ausgemacht hat, kann die Schilderung der Oper beginnen. Die fällt gegenüber der Buchankündigung eher konventionell aus. Auf Seite 76 ist dann auch das erledigt. Was auf den verbleibenden hundert Seiten folgt, sind Wagners Quellen, das Libretto, das eben schon nacherzählt wurde, und ein Lexikon. Diskografie, Linksammlung oder andere weiterführende Informationen fehlen.

Sieht man von der Faszination, die von Wagners Werk selbst ausgeht, einmal ab, erschließt sich nicht so recht, wie der Autor Menschen, die keinen Zugang zur Oper oder zumindest zu Richard Wagner finden, verführen will. Neue Informationen oder einen neuen Aspekt sucht man vergebens. Da bietet manches Programmheft mehr. Und eine Internet-Recherche sowieso.

Ist also der gute, alte Opernführer tot? Nein. Was gerade stirbt, sind die ewigen Wiederholungen, die sich nur dadurch unterscheiden, dass andere Autoren sie verfassen. Wer heute Menschen zur Oper verführen will, muss neue Wege finden. Interessante Ansätze dazu gibt es bereits. In diesem Buch findet man sie nicht.

Michael S. Zerban, 4.7.2015