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Buchbesprechung

Himmlische Juwelen


Autorin



Donna Leon, geboren 1942 in New Jersey, lebt seit 1965 im Ausland. Sie arbeitete als Reiseleiterin in Rom, als Werbetexterin in London sowie als Lehrerin an amerikanischen Schulen in der Schweiz, im Iran, in China und Saudi-Arabien. 1981 zog Donna Leon nach Venedig. Die Brunetti-Romane machten sie weltberühmt, doch die Barockmusik ist ihr nicht weniger wichtig. Sie förderte zahlreiche Einspielungen, neu das Orchester Il Pomo d’Oro. Heute lebt sie in Venedig und in der Schweiz.


Kaufinformationen

Donna Leon: Himmlische Juwelen

Diogenes

ISBN 978-3-257-06837-5

Leineneinband, 304 Seiten, 23 Euro


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Buchidee

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Wir sind in Italien - cara mia

Die zarte Damenhand, die aus dem pelzbesetzen Ärmel hervorlugt, hält fast achtlos einen nachlässig gefalteten, kleinen Zettel. Dabei ist es wahrscheinlich dieser Zettel, von der die Stellvertretende Vorsitzende der Stiftung geheimnisvoll flüsternd erzählt, hinter dem die beiden missratenen Cousins hinterher sind, und der nun plötzlich vor der Dottoressa Caterina auf dem Tisch liegt: Der Schatz?

Die amerikanische Krimi-Autorin Donna Leon vorzustellen hieße Eulen nach Venedig zu tragen. Hier lebt die gebürtige Amerikanerin seit mehr als 30 Jahren, kein Venezianer kennt diese Stadt besser als sie. Und natürlich spielt dieser Venedig-Krimi in einem der wunderschönen, leicht verfallenen, schlecht gesicherten und unbewohnten, großbürgerlichen Paläste direkt an einem der vielen Kanäle. Und selbstverständlich ist die Protagonistin eine noch junge, intelligente, gut aussehende und wieder einmal ledige Dottoressa der Musikwissenschaften, die mit einer Arbeit über die Barockoper in Wien promovierte und jetzt den Nachlass des italienischen Komponisten, Diplomaten und Bischofs ordnen und auf seine Preziosen durchsuchen soll – das jedenfalls ist das einzige Interesse der beiden Cousins, in deren Auftrag sie in diesem Palast, ihrem derzeitigen Arbeitsplatz tätig werden soll. Hier trifft sie auf den eleganten, immer bestens gekleideten Anwalt Dottor Moretti, ein Herr von Kultur – versteht sich.

Die Figur des Agostino Steffani , 1654 in Castelfranco, Venetien, geboren und 1728 gestorben, ist eine historisch verbürgte, allerdings mit zahlreichen Geheimnissen und Merkwürdigkeiten umwobene Figur der italienischen Musikgeschichte, um die herum Donna Leon eine Gruselgeschichte spinnt, in der sie kunstvoll Historisches und Phantastisches mit einander vermischt. Da spielt der deutsche Herzog Ernst August von Hannover als Gönner von Steffani ebenso eine Rolle wie eine finstere vatikanische Concregatio de Propaganda Fide, ein schlecht gesicherter Tresor mit einer porta blindata und die immer nichtsahnende Stellvertretende Stiftungsvorsitzende Roseanna, die sich in einer Mischung aus Geheimnisträgerin und Hausfaktotum nie wirklich in die Karten schauen lässt. Und als dann Caterina, ihrem Auftrag gemäß, endlich in das abgedunkelte Zimmer des verstorbenen Steffani tritt und zwei verschlossenen großen Holztruhen gegenüber steht, wird die Spannung fast unerträglich. Immer wieder muss sie zu Detailstudien in die einst von Petrarca gegründete Nationalbibliothek Marciana, zu der ihr – natürlich – ein guter Freund den nötigen Zugangscode verschafft – wir sind in Italien. Die Archivsuche zieht sich hin, bis in einem Dokument ein Hinweis, ein Zettel, auftaucht mit der Notiz „Himmlische Juwelen“.

Donna Leon versteht es bestens, ihre Figuren durch zahlreiche Alltagsdetails plastisch werden zu lassen, vielfältige historische Rückblenden skizzieren den zeitlichen Kontext, und bei ihren musikhistorischen Ausflügen begegnet der Musikkundige seinesgleichen. Es wirkt absolut glaubwürdig, wenn Dottoressa Caterina bei ihren Archivstudien von der Schönheit der Arien Steffanis oder seinem unübertroffenen Stabat Mater schwärmt. Selbst wenn der Leser schon einmal etwas flüchtiger über weitere neue Zeugen und Passanten hinweg fliegt, bleibt die Spannung erhalten, Donna Leon hat keine Mühe, bei aller wilden Phantastik den roten Faden gut sichtbar weiterzuspinnen. Das gilt auch für die unglaublichen politischen und amourösen Eskapaden von Adel und Klerus, die sich nach Lust und Laune quer durch die Geschlechter zwischen Hannover und England bedienen oder den Nachwuchs für ihre höfischen Opern über eine Kastratenschule zu sichern versuchten. Schrill, schräg – aber durchaus denkbar. Leon nutzt eine klare, prägnante Sprache, die einfach bestens zu lesen ist. Als Übersetzer hat Werner Schmitz diese leichte Sprache stilgerecht und flüssig ins Deutsche gebracht. Mit zahlreichen italienischen Versatzstücken gelingt es ihm zusätzlich, ein wenig des südlichen Ambiente in diesen Musikerkrimi einzublenden, so dass selbst Cecilia Bartoli, sicher mit Venedig bestens vertraut, findet: Agostino Steffani – „Das ist ein Fall für Donna Leon“.

Horst Dichanz, 17.12.2014