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Buchbesprechung

Finnische Oper heute


Herausgeberinnen



Elke Albrecht, Musikwissenschaftlerin und Musiktheaterforscherin mit österreichisch-deutschen Wurzeln, promovierte an der Universität Wien über die Kalevala-Opern.

Eeva-Taina Forsius-Schibli, geboren in Helsinki, arbeitet als Finnisch-Lehrerin und Tanzpädagogin in Basel. Promovierte in Frankfurt am Main über Opernästhetik.


Kaufinformationen

Elke Albrecht, Eeva-Taina Forsius-Schibli: Finnland - Land der Oper - 19 Essays zur zeitgenössischen Oper

Muusakirjat Helsinki

ISBN 978-952-68244-0-6

Paperback, 232 Seiten, 15 Euro


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Land der Oper

Nein, hier ist nicht von Italien, Frankreich oder Deutschland die Rede. Nicht einmal um Österreich geht es. Zwar gibt es in Deutschland und Italien – noch – die höchste Theaterdichte. Mit der Oper hat das eigentlich eher wenig zu tun. Geht es nämlich um die Zahl von Uraufführungen, ist plötzlich ein ganz anderes Land im Gespräch. Dann reden wir von Finnland.

Damit das in das Bewusstsein Europas rückt, haben Elke Albrecht und Eeva-Taina Forsius-Schibli einen Essay-Band herausgegeben, der auch auf Deutsch erschienen ist. „Nirgendwo sonst sind in den letzten Jahrzehnten weltweit im Vergleich zur Einwohnerzahl so viele zeitgenössische Opern auf die Bühne gebracht worden wie in Finnland“, verkünden die Herausgeberinnen. In Finnland – Land der Oper haben sie auf rund 230 Seiten 19 Essays finnischer Komponisten veröffentlicht, die von ihren Erfahrungen berichten, den heutigen Kompositionsprozess näher beleuchten – der sich, abgesehen von der Technik, wohl kaum von den Komponisten vergangener Zeiten unterscheidet – und auch die ökonomischen Zwänge nicht auslassen.

Schnell drängen sich Vergleiche zu Deutschland auf. Wer ist eigentlich für Kompositionsaufträge verantwortlich? Sind es die großen Häuser, die finanziell ausreichend ausgestattet sind, auch Experimente zu wagen – was doch eigentlich zu ihrem Aufgabenbereich gehört? Oder sind es die kleineren Institutionen, die sich über Uraufführungen profilieren können? In Deutschland fühlt sich keiner so recht zuständig, in Finnland alle. In beiden Ländern allerdings ist die Macht der Rundfunkanstalten ungebrochen. Eine Aufführung, die nicht von den Sendeanstalten aufgezeichnet wurde, existiert de facto nicht. Hier geht es um die „Ewigkeit“. Was Deutschland allerdings deutlich von den aus Finnland geschilderten Ereignissen unterscheidet, scheint die Offenheit in der Rezeption neuer Opern zu sein. Sieht man von wenigen Ausnahmen ab, werden Uraufführungen im Land der Dichter und Denker mit einer Geschwindigkeit abgetan, die atemberaubend ist. Das scheint man in Finnland so nicht zu kennen.

Liest man die überwiegend sehr persönlich gefärbten Essays auf Gemeinsamkeiten durch, mag man zwischen den Erfahrungen finnischer und deutscher Komponisten keine großen Unterschiede zu erkennen. Insofern haben Albrecht und Forsius-Schibli hier kein typisch finnisches Buch vorgelegt, sondern eher einen Querschnitt europäischer Kompositionskunst. Und da zeigt sich wohl vor allem die Krux gegenwärtigen Geschehens. Große Werke bleiben die Ausnahme, kleinere Auftragskompositionen haben wenig Chancen sich durchzusetzen. Da ist viel von Kinder- und Kammeropern die Rede – was sich durchaus mit der erlebten Wirklichkeit deckt. Was aber – das nur nebenbei – haben uns die Kinder eigentlich getan, dass wir auf ihnen die Verantwortung für die Zukunft abladen? Möglicherweise ist das Gehör der Alten schon so verknöchert, dass es auf anderes als Verdi, Puccini oder Wagner nicht reagiert; vielleicht ist es aber auch so, dass die Wege von Atonalität und Serialität doch nicht die ultima ratio sind und von daher bei den Musikern und Komponisten ein Umdenken erforderlich ist.

Diese Fragen beantwortet der Paperback-Band nicht. Muss er auch nicht, ist er ja aus Sicht der heutigen Komponisten verfasst. Dass dieses Werk trotzdem ein wichtiges ist, versteht sich von selbst. Wer von den Befindlichkeiten zeitgenössischer Komponisten liest, kann viel lernen. Da ist das Land, in dem oder über das sie sich äußern, ziemlich egal. Die Oper steckt so tief in der Krise, dass sogar der Dekolleté-Doppelgriff wieder modern wird. Da ist jedes Buch, das sich dem Thema moderner Opernentwicklung widmet, ein Gewinn. Und als nächstes denken wir darüber nach, was Oper aktuellem Entertainment im Fernsehen noch entgegenzusetzen hat. Aber darauf geben eigentlich auch 19 Essayisten aus Finnland Antwort.

Michael S. Zerban, 12.8.2015