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Buchbesprechung

Musik ist alles und alles ist Musik


Autor



Daniel Barenboim wurde 1942 als Enkelsohn jüdisch-russischer Einwanderer in Buenos Aires geboren. Sein Debüt als Dirigent gab er 1967 mit dem New Philharmonia Orchestra in London. 1991 wurde er Chefdirigent des Chicago Symphony Orchestra. Von 2006 bis 2011 war Barenboim "Maestro Scaligero" der Mailänder Scala und wurde anschließend zum Musikdirektor des Opernhauses ernannt. Seit 1992 ist er Generalmusikdirektor der Staatsoper Berlin.


Kaufinformationen

Daniel Barenboim: Musik ist alles und alles ist Musik - Erinnerungen und Einsichten

Berlin Verlag

ISBN 978-3-8270-1201-2

Gebunden, 141 Seiten, 17 Euro


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Buchidee

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Fragmente vom Meister

Im Berlin Verlag ist ein Büchlein von Daniel Barenboim erschienen, das den vielsagenden Titel Musik ist alles und alles ist Musik trägt. Neben dem Wohl- und Nichtklang dieses Titels führt vielleicht der Untertitel weiter: Erinnerungen und Einsichten. Auf rund 140 Seiten findet sich eine Textsammlung, deren Zusammengehörigkeit sich nur schwer erschließt. Im ersten Teil erstreckt sich der Bogen der Themen von der Ethik und Ästhetik der Musik über den israelisch-palästinensischen oder pälestinensisch-israelischen „Konflikt“ über Anmerkungen zu Wagner bis zu Festreden. Der zweite Teil ist mit Dialoge überschrieben und versammelt wenige Podiumsdiskussionen zu den Themen West-Eastern Divan Orchestra, Carmen, Walküre und Don Giovanni. Im dritten Teil finden sich Bemerkungen zu Dietrich Fischer-Dieskau und Giuseppe Verdi. Da die Ansichten Barenboims zu all diesen Themen gemeinhin bekannt sind, ist damit eigentlich alles gesagt.

Warum also dieses Buch, warum diese Ansammlung von Fragmenten – abgesehen von der Tatsache, dass sich allein mit dem Namen gutes Geld verdienen lässt? Und Herr Barenboim damit noch einmal ein erkleckliches Sümmchen einstreichen dürfte.

In summa strahlt der schmale Band, der im Übrigen sehr sorgsam gearbeitet ist und gar ein Kapitelband enthält, nicht nur die Würde des Maestro, sondern ein Weltbild aus, das vom Pazifismus des Dirigenten bis zur Altersweisheit desjenigen reicht, der im Alter das gesamte Bild betrachtet und nicht nur die Teile, die für den jeweiligen Lebensabschnitt bedeutungsvoll sind. Von der Musik habe ich das Gegenteil gelernt, nämlich wie wichtig es ist, verschiedene Ideen und Bereiche des Denkens zusammenzubringen. Ein Musikstück ist ein organisches Ganzes, in dem sich jeder Aspekt auf einen anderen bezieht. Musik kann in ihren konstitutiven Elementen nicht zerstückelt werden; eine Melodie ohne Rhythmus kann es nicht geben, ebenso wenig eine Melodie ohne Harmonie, eine Harmonie ohne Rhythmus und so weiter. Solche Sätze kann man wunderbar aufdröseln, und so mancher junge Dirigent wird hier eine Menge über die ganzheitliche Betrachtungsweise von Musik für sich mitnehmen können. Interessant auch, was Musik nicht mit Politik zu tun hat. Und warum das West-Eastern-Divan-Orchestra kein Friedensorchester ist. Mein Traum ist es, weiter in Gaza zu arbeiten, oft wiederzukommen und meinen Beitrag zu einer Zivilgesellschaft zu leisten, die dynamisch und interessant ist, wie ich selbst feststellen konnte. Ich hoffe, dass ich eines Tages hier mit dem West-Eastern-Divan-Orchestra auftreten kann. Es ist eine traurige Wahrheit, dass dieses Orchester, das in vielen Teilen der Welt zu einem Mythos geworden ist, noch nie in den Ländern gespielt hat, aus denen die Mehrzahl seiner Mitglieder kommt. Doch es setzt seine Mission fort: den Abbau von Grenzen.

Die Dialoge im zweiten Teil sind eine Ansammlung von Interviews, die zumeist anlässlich bestimmter Aufführungen öffentlich geführt wurden. Daniel Barenboim hört man immer gern zu, und so macht es auch Spaß, seine Antworten zu lesen. Auch wenn sich der Erkenntnisgewinn in deutlichen Grenzen hält.

In einen solchen Textmix fügt sich dann auch ein Nachwort auf Dietrich Fischer-Dieskau nahtlos ein. Uns verband eine ganz besondere Freundschaft, und wenn ich ihn in den letzten zwanzig Jahren auf der Bühne vermisst habe, ist sein Verlust heute für mich ein wahrer Schmerz. Das wäre ein schönes Schlusswort gewesen, aber Barenboim schiebt noch einen Verdianischen Epilog nach.

Insgesamt ist ein Werk entstanden, das sicher für Kollegen nachdenkliche Ratschläge auf den Weg gibt, für die Fans von Barenboim ein Muss ist, ansonsten aber nicht die Bedeutung erlangt, die man sich von den Erinnerungen und Einsichten eines – wie auf dem Buchdeckel noch einmal vermerkt – „Künstlers von Weltrang“ erhofft.

Michael S. Zerban, 16.2.2014