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Beinah vergessen
Wonach entscheidet sich eigentlich, ob eine Person, die künstlerisch, politisch oder einfach menschlich in das Weltgeschehen eingegriffen hat, im kollektiven Gedächtnis verhaftet bleibt oder irgendwann in Vergessenheit gerät? Eine vernünftige Antwort auf diese Frage wird es wohl nicht geben. Wenn man nicht ohnehin der Auffassung ist, dass die Geschichte einer Person immer den ihr gebührenden Rang einräumen wird. In diesem Fall ist es Ralph Zedler, der eine der berühmtesten Sängerinnen ihrer Generation wieder auf die Bühne holt. Obwohl ihre Aufnahmen bis heute als Referenzbeispiele gelten, ist der Name von Arleen Auger dem jüngeren Publikum in Vergessenheit geraten. Dabei gilt die Amerikanerin als eine der führenden Bach- und Mozart-Sängerinnen des 20. Jahrhunderts. „Das, was Arleen Auger bis heute fast einzigartig macht, ist die Tatsache, dass sie als eine der ersten Sängerinnen überhaupt sowohl mit traditionellen Orchestern, die aus der Ästhetik des 19. Jahrhunderts kommen, als auch mit Spezialisten der Alten Musik im illustren Wechsel zusammengearbeitet hat.“
Auf mehr als 400 Seiten hat Musikwissenschaftler Zedler, selbst passionierter Lied-Begleiter, ihr Leben nachgezeichnet. Der Recherche-Aufwand ist beeindruckend. Während die Sängerin sich stets bemühte, sehr genau zwischen ihrem Leben privatim und in der Öffentlichkeit zu unterscheiden, hat sich der Autor in den Archiven dieser Welt herumgetrieben, um ein möglichst vollständiges Bild einer eindrucksvollen Persönlichkeit, die ihr Leben in der Alten und der Neuen Welt, genauer in Deutschland und Amerika, gleichermaßen verbrachte, zu zeichnen.
Herausgekommen ist dabei ein Werk, das in Zitaten schwelgt. Im ersten Teil wird zunächst in groben Zügen die Lebensgeschichte der Weltklasse-Sängerin erzählt. Schade, dass Zedler hier zugunsten wissenschaftlicher Akribie bei jeder Opernaufführung gleich immer das Ensemble mit aufzählt. Das ist ermüdend. Später verliert der Text an Zähigkeit und letztlich gelingen gar berührende Momente, wenn es auf das Ende eines erfüllten Lebens zugeht. In den folgenden Kapiteln erfahren wir sowohl die individuelle Entwicklung als auch die Sichtweise anderer Personen auf Auger. Dass sich hier die kritischen Bemerkungen in überschaubarem Rahmen halten, passt zum Kontext eines Buchs, das im Untertitel eine „Würdigung eines heimlichen Stars“ vornehmen will.
Zahlreiche Schwarzweiß-Bilder unterstützen die Geschichte, eine Fotogalerie komplettiert die Visualisierung, und umfangreiche Listen wie eine Diskographie unter unterschiedlichen Aspekten, ein Personenregister und eine Bibliografie vervollständigen das gebundene Buch. Zedler ist das gelungen, was er geplant hatte: Ein abschließendes Werk über das Leben und Wirken eines längst verglommenen Sterns zu verfassen. Auger ist gerade einmal 60 Jahre alt geworden, aber der Wunsch des Autors, ihr mit diesem Buch ein kleines Denkmal zu setzen und uns davor zu schützen, sie der Vergessenheit anheim zu geben, ist gelungen.
Wer allerdings auf eine solch umfangreiche Zitatensammlung setzt, greift mit einem Buch vielleicht zu kurz. Da wäre eine Audiofassung unter Umständen spannender gewesen. Mit Sicherheit ist das Kapitel Arleen Auger unter diesem Gesichtspunkt noch nicht abgeschlossen.
Michael S. Zerban, 13.7.2014
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