"Die Arie des Tages"
Margarete Huber ist gleichermaßen als Komponistin tätig und schreibt Werke von Solo bis Orchesterwerk, in denen sie sowohl traditionelle wie auch experimentelle Kompositions- und Instrumentaltechniken verwendet.
Ihr erstes abendfüllendes Musiktheater „springteufel“ (Text: Kathrin Röggla), wurde – seinem Thema Arbeitslosigkeit entsprechend - in einer Schweizer Müllverbrennungsanlage uraufgeführt, und wurde von der Presse als „klangliches Feuerwerk“ und „virtuos“ bezeichnet.
Am 20. März startet Hubers neuestes Projekt.
opernnetz : Wie beschreiben Sie die Idee der „Arie des Tages“; wie gehen sie kommunikativ vor, und welche Kriterien der Auswahl von Gesprächspartnern und der ästhetischen Gestaltung ihrer Aussagen bestimmen Ihr Vorgehen: unter inhaltlich-intentionalem Aspekt und unter musikalisch-sängerischer Vorstellung?
Margarete Huber : Ich werde am 20. März in der Galerie Kronenboden Gästen die Möglichkeit bieten, von ihrer aktuellen emotionalen Verfassung oder einem besonderen Erlebnis des heutigen Tages zu berichten und werde dies aufnehmen. Anschließend notiere ich in einer Hörpartitur den gesprochen Text, sowie - mit gegebenenfalls neu zu findenden Notationsformen - möglichst präzise sämtliche musikalische Parameter des Gesprochenen, also Artikulation, Melodik, Rhythmik, Temporelationen, Klangfarbe, (Mikro-)Tonalität, Länge und Intensität der Lautabfolgen, Lokalisation der physischen Einstellungen der Klangproduktion, Atemführung etc.
Auf der Grundlage und in der Auseinandersetzung mit dieser Hörpartitur entwickele ich jeweils „die Arie des Tages“, also konkret ein Werk für Sopran-Stimme und Klavier (mit Inside-Techniken).
Mich interessiert, ob in der alltäglichen Sprache, in der modernen Beschreibung von affektiv Erlebtem Strukturen zu finden sind, die neue ariose Formen nahe legen.
opernnetz : Kreativ-spontanes Umsetzen gesprächsweiser Spontan-Äußerungen braucht ja reflektierte Erkenntnisse sowohl des Begreifens sozialer Bedingungen der Gesprächspartner als auch der historisch entstandenen Formen „authentischen“ Theaters als auch des Zusammenhangs von „gesprochener“ Alltagssprache und „gesungenem“ Duktus. Wo finden Sie da Ansätze in der Sprach-, Sozial- und Musiktheorie? Gibt es Vorbilder?
Margarete Huber : Bezugssystem für meine Arbeit ist weniger das sogenannte „Authentische Theater“, sondern der Abgleich mit tradierten und neueren Wegen der Sprach- und Affektvertonung, etwa der Rezitativ- und Ariengestaltung in der Barockoper, natürlich auch der Affektenlehre, ebenso wie mit Werken des nicht-semantisch gebundenen Musiktheaters, wie etwa Aventures von Ligeti oder Aperghis’ Rézitations pour voix seule . Meine Wahrnehmungs-, Analyse- und Notationsmethoden sind also primär akustisch-musikalisch-musiktheoretischer Art.
Der perfomative Aspekt, das ein wenig „Spektakuläre“ dieser kleinen Aktion, innerhalb so kurzer Zeit aus sogenannter „authentischer Sprache“, also aus „Fundstücken der Realität“ ein musiktheatrales Produkt herzustellen und zu präsentieren, darf und soll durchaus auch augenzwinkernd gelesen und verstanden werden.
Für einen heiter mit Zeitbegrenzung und Gattung spielenden perfomativen Ansatz gibt es natürlich bewundernswerte Vorbilder wie manche Fluxus-Aktionen oder etwa Manos Tsangaris Musiktheaterminiaturen.
opernnetz : Solch ein „aus dem Leben gegriffenes“ Projekt kann ja nicht musiktheoretischer Selbstzweck sein. Welches Publikum wollen Sie mit Ihren Arbeiten erreichen - und wo ist das zu finden? Und: Gibt es schon Reaktionen?
Margarete Huber : Das interaktive Moment führte bereits jetzt zu Nachfragen und scheint auch Opern- und Neue Musik-fremdes Publikum neugierig zu machen.
Letztlich stellt die Aktion „Die Arie des Tages “ einen kleinen Zwischenbericht, eine Momentaufnahme dar aus einer längerfristig angelegten Auseinandersetzung mit Formen der Anverwandlung von Realität in musikalische Strukturen sowie mit der Frage, ob und wie Oper und „Opernhaftes“ in unserer heutigen Realität Platz hat bzw. integrativer Anteil unseres Lebens und also zeitlos und für alle aktuell ist.
Die Aktion spricht als Teil des Poesiefestivals Printemps des Poètes, das in vielfältigen Aktionen in den öffentlichen Raum eingreift, ein heterogenes (Lauf-)Publikum an.
(Aufführung 20. und 21.3. im KRONENBODEN im Rahmen des Festival Printemps des Poètes Berlin)
(Die Fragen stellte opernnetz-Herausgeber Franz R. Stuke)
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