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Ohne Melodie geht’s nicht
Giselher Klebe gilt als der Meister der „Literaturoper“. Mit der Uraufführung von „Chlestakows Wiederkehr“ präsentierte der 82jährige Komponist am 11. April 2008 seine vierzehnte Oper. Nach vielen Jahren als Professor an der renommierten Musikhochschule Detmold, als kreativ-reflektierender Komponist und aufmerksamer Beobachter der aktuellen Musiktheater-Entwicklung stellt opernnetz.de ihm drei Fragen.
opernnetz: Von welchen Opernkomponisten – von Monteverdi bis Lachenmann – haben Sie sich beeindrucken lassen? Wie werden solche Eindrücke in der Wahl Ihrer „Stoffe“, der Handlungsstruktur und Ihrer eigenen „Kompositionssprache“ aufgenommen – und für ein interessiertes Publikum hörbar?
Giselher Klebe: Der wichtigste Komponist der mich beeinflusst hat, mein Hauptvorbild, ist Verdi. Neben Verdi gibt es noch andere, Rossini, Puccini, in der Hauptsache die Italiener, also ja, auch Monteverdi. Aus unserer Zeit und der modernen Musik gibt es kaum Einflüsse, so gut wie gar nicht, auch Richard Strauss nicht; Palestrina von Pfitzner hat mich beeindruckt. Wagner habe ich noch nicht erwähnt, er war mein erstes Jugenderlebnis, aber wurde dann bald von Verdi überlagert, aber wie Wagner mit den Dingen umgeht ist einfach unverwechselbar und einzigartig und hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck.
In meine Kompositionssprache habe ich nichts aufgenommen. Ich glaube, ich habe meine eigene Sprache gefunden. Eine wichtige Erkenntnis ist: ohne Melodie geht’s nicht, und mein Ziel ist immer, melodisch zu sein und melodisch zu bleiben. Dazu kommt der Rhythmus als wichtiger Punkt, das Tempo, alles, was die Struktur ausmacht.
Was die Stoffe betrifft: Ich habe immer gern gelesen! Eine Zeit lang hat man sich über Literaturopern mokiert, meine Antwort darauf war: aber warum mokiert man sich nicht über Literatur-Lieder? Das ist eine Leistung Wagners, er hat dafür gesorgt, dass der Text wichtig ist, seit ihm muss der Text gut sein, Klamauk nützt nichts.
opernnetz: Nicht nur „akademisch“ wird derzeit intensiv über „Möglichkeiten der Tonalität“ diskutiert. Wie sehen Sie diese Problematik mit Ihren langen Erfahrungen? Und wie schätzen Sie die Reaktionen eines aufgeschlossenen Publikums ein?
Giselher Klebe: Das ist eine lustige Frage. Ich habe meine musikalische Sprache durch die Abkehrung von der Tonalität gefunden, aber ich habe sehr bald gemerkt, dass man ohne Tonalität nicht auskommt. Meine Hauptarbeit ist der Versuch, eine atonale Sprache zu finden, in der die Tonalität nicht ausgeschaltet ist. Alles was ich mache hängt an einem Gummiband. Am einen Ende ist die Tonalität, am anderen die Atonalität. Man kann das Band sehr weit dehnen, man kann es aber auch kurz halten. Ich habe meine Sprache gefunden, bei der ich mich um einen Gegensatz zwischen den beiden nicht mehr zu kümmern brauche. Es ist schön, wenn man merkt, dass beides miteinander verzahnt ist.
Was das Publikum akzeptiert oder nicht ist sehr eine Sache der Gewöhnung (nicht Gewohnheit!). Es ist inzwischen an so viel gewöhnt. Wenn man sich heute Popmusik, also Musik für ein großes Publikum anhört, enthält sie Dinge, die vor 30 Jahren als zu modern, zu atonal, zu dissonanzreich empfunden wurden. Das zeigt auch, wie unwichtig dieses Problem Tonalität/Atonalität ist. Jeder Komponist muss seine eigene Sprache finden, von welcher Seite aus, ist dabei unwichtig.
opernnetz: Sie haben sehr lange an der Musikhochschule Detmold gelehrt. Welche Resonanz haben Ihre kompositorischen Vorstellungen gefunden? Und: Gibt es ehemalige Studenten, die Ihre Intentionen weiter entwickeln?
Giselher Klebe: Darauf, dass meine Intentionen und meine Vorstellung weitergetragen werden, habe ich gar kein so großes Interesse. Ich lege keinen Wert darauf, einen Rattenschwanz an kleinen Klebes hinter mir zu haben. Ich freue mich, wenn jemand seine eigene Sprache gefunden hat, inwieweit ich selber als Lehrer dazu beigetragen oder dabei geholfen habe, kann ich aber gar nicht beurteilen. Sagen wir es so: Ich vermisse nichts, wenn keiner Klebe nachbetet.
opernnetz: Vielen Dank für Ihre Antworten!
(Die Fragen stellte Franz R. Stuke)
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