O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Der Kaiser von Atlantis

Am Ende das Licht

KLAVIERABEND
(Viktor Ullmann)

Besuch am
19. April 2024
(Einmalige Aufführung)

 

Partika-Saal, Viktor-Ullmann-Festival an der Robert-Schumann-Hochschule, Düsseldorf

In den Musikhochschulen unseres Landes schlummert ein ungeheures Potenzial. Sowohl, was die Kreativität als auch, was die Förderung der Kultur in der Stadtgesellschaft angeht. Bis auf öffentliche Einladungen zu Konzertexamen, gelegentliche Opernaufführungen oder hier und da ein paar Sonderkonzerte oder Wettbewerbe dringt davon wenig nach außen. Jetzt ist die Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf mal über ihren Schatten gesprungen und hat ein Viktor-Ullmann-Festival ausgerufen. Ursprünglich wollte der Professor für die Opernklasse, Thomas Gabrisch, eigentlich nur eine passende Oper für die alljährliche Aufführung finden. Seine Wahl fiel auf Der Kaiser von Atlantis von Viktor Ullmann. Es war die Oper, die der Komponist im Konzentrationslager Theresienstadt schrieb. Während seiner Beschäftigung mit dem Musiker entdeckte Gabrisch, wie umfangreich das Oeuvre Ullmanns ist, das bis heute mehr oder minder in den Schubladen schlummert. Sein Vorschlag, die Opernaufführung mit einer Reihe von Konzerten zu verknüpfen, stieß sowohl bei der Hochschulleitung als auch bei den Kollegen und letztlich bei den Studenten auf offene Ohren. Sie alle machten mit. Im Vordergrund stand zunächst die logistische Herausforderung, wie Gabrisch in einem exklusiven Audiobeitrag bei O-Ton erzählt. Aber letztlich wurden alle Hindernisse überwunden. Und so entstand ein Klavier-, Kammermusik-, ein Liederabend und ein Gedenkkonzert, letzteres in Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde vor Ort, die nun vom 18. bis zum 27. April aufgeführt werden. Vorab wurde das Programm von Catharina Ruiz Marcos in ein vorbildliches Heft gegossen, das den Besuchern kostenlos zur Verfügung gestellt wird. So können die Spiele beginnen.

Katsiaryna Yazhova – Foto © O-Ton

Am Vorabend des heutigen Klavierabends fand die Premiere der Opernaufführung statt. Und so präsentiert sich der Partika-Saal, das ist der Konzertsaal der Hochschule, bereits als Festival-Campus. Ja, es kommt gleich so etwas wie Festival-Stimmung auf. Wunderbar. An der Front ist das Bühnenbild der Opern zu sehen, davor stehen die leeren Pulte des Orchesters und das Schlagwerk. Die Stuhlreihen sind noch für die Opernaufführung ausgerichtet, deren nächste Vorstellung am darauffolgenden Tag stattfinden wird. In der linken Hälfte des Saals ist ein hochwertiger Konzert-Flügel aufgebaut. Das vor die Bühne geschobene Cembalo deutet die eigentliche Aufstellung an. Ein Rednerpult rundet die Ausstattung ab. Die zur Verfügung stehenden Stuhlreihen sind sehr gut besetzt, was bei dem ungemütlichen April-Wetter durchaus nicht selbstverständlich ist. Die Erwartung, dass Horden von Studenten sich mit den älteren Herrschaften, die überwiegend erschienen sind, um die Stühle streiten, erfüllt sich nicht. Dabei sind doch gerade sie angesprochen, wenn es um die Erinnerung an einen Musiker geht, der der Diktatur der Nationalsozialisten zum Opfer fiel und im Konzentrationslager Auschwitz im Oktober 1944 vergast wurde.

Zwar ist für den Abend eine „Moderation“ der drei Klaviersonaten angekündigt, aber dass es sich dabei um eine halbstündige Vorlesung handelt, bevor man Musik zu hören bekommt, hatte man sich vielleicht doch anders vorgestellt. Tobias Koch, Lehrbeauftragter der Hochschule, der eine eigene Klavierklasse betreut, hat sich dafür entschieden, den Wortbeitrag voranzustellen und ihn mit kleinen Musikbeispielen zu verdeutlichen, um anschließend die Musik ungestört zu genießen. Gut, das kann man so auch lösen. Und Koch lässt hier nicht den Hochschuldozenten raushängen, sondern versucht, mit einem bewusst niederschwelligen Vortrag ein Publikum zu erreichen, das sich nicht mit Klaviermusik auskennen muss. Da wird gleich zu Beginn mal erklärt, was eigentlich eine Sonate ist – und siehe da, es ist niemand im Saal, der gelangweilt die Augen verdreht. Außerdem ist es eine gute Gelegenheit, die drei Studenten vorzustellen, die den musikalischen Teil bestreiten werden. Aus der eigenen Klasse ist Katsiaryna Yazhova zugegen, Giuseppe D’Elia hat die Klasse von Lisa Eisner-Smirnowa absolviert und Theodor Ahlbeck Glader kommt aus der Klasse von Paolo Giacometti. Ja, auch Eisner-Smirnowa und Giacometti hätten sich gern dem Publikum vorstellen dürfen, aber was gäbe es dann noch zu meckern? Nachdem Koch noch so einiges zu den Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der Musik Ullmanns im Vergleich zu anderen Komponisten erklärt hat, gibt es Gelegenheit für eine Atempause. Die Stimmung ist gut, nach den Musikbeispielen ist die Spannung groß, was Viktor Ullmann unter den schwierigen Arbeitsbedingungen im Konzentrationslager Theresienstadt zustande gebracht hat, nachdem ihm zuletzt nicht einmal mehr Notenpapier zur Verfügung stand.

Tobias Koch – Foto © O-Ton

Auch wenn Ullmann attestiert wird, dass er als Schönberg-Schüler seinen eigenen Stil gefunden habe, der über die Zwölfton-Technik hinausweist, stellt sich doch schon bei der fünften Klaviersonate, die D’Elia eindrucksvoll spielt, die Frage, ob es tatsächlich schon ein eigener Stil war oder er sich auf dem Weg dahin befand. Wir werden es nicht erfahren. Jedenfalls kann man sich angesichts dieser Klänge kaum vorstellen, dass sie nationalsozialistischem Lagerpersonal, dass kaum als besonders feinsinnig bekannt ist, gefallen haben könnte. Im Rahmen des Festivals wird sich sicher noch herausstellen, wie solche Kompositionen trotz der Arbeitsbedingungen möglich sein konnten. Das gilt auch für die folgenden Sonaten.

Auch ohne Referenzaufnahmen ist zu hören, welch exzellenten Vortrag Glader gleichsam mit D’Elia darbietet. Wenngleich weniger aufgewühlt, fesselt er das Publikum ebenso wie Yazhova, die mit der siebten Sonate den möglicherweise anspruchsvollsten Part zu spielen hat. Hier verwirbelt Ullmann ein hebräisches Volkslied mit einem evangelischen Choral, um beide schließlich – wie Koch ausführt – die Musik „ins Licht zu führen“. Und so kann der Abend strahlend enden.

Nach dem Konzert ist klar, dass in den kommenden Tagen nicht nur exzellente Leistungen der Studenten zu erwarten sein werden, sondern dass auch manche weitere Erkenntnis zum Komponisten Ullmann in Aussicht steht.

Michael S. Zerban