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Rund um die Gesangsstimme

Ein Lexikon der Gesangsstimme gab es noch nie. Nachschlagewerke zu Sängern schon, wie etwa das umfassende Kompendium über Operninterpreten von Jürgen Kesting, aber eine Art Enzyklopädie, die sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet, ist neu. Insofern schließt der Laaber-Verlag, der bereits einige beispielhafte musikwissenschaftliche Lexika vorgelegt hat, eine Lücke.

Der voluminöse Band hat es in sich. Auf über 700 Seiten versammelt er fast 800 Artikel –  teils ausführliche, teils nur stichwortartige – von mehr als 50 Autoren zum Thema Gesangsstimme. Deren Profession ist bunt, da die akribisch zusammengestellte Auswahl auf den vier Säulen Geschichte, Wissenschaftliche Grundlagen, Gesangstechniken und Interpreten fußt: Es sind Musik- und Sprechwissenschaftler, Pädagogen und Mediziner, Kulturjournalisten und Logopäden darunter, die um Texte zu ihren Fachgebieten gebeten wurden.

Was sind Klangfarben, wie unterscheiden sich Gesangsschulen unter nationalen und pädagogischen Aspekten, welche Stimmfächer und -typen gibt es, welche Formen des Sprechens und Singens? Und wie funktionieren die Organe, die beim Singen und Sprechen beteiligt sind, also unter anderem Kehlkopf, Nase, Lunge und Zwerchfell. Wie verhält es sich mit dem Hören, der Atmung und – ganz wichtig – welche therapeutischen Ansätze gibt es, wenn die Stimme krank ist? Auf solche Fragen und viele andere mehr bekommt der Leser detaillierte, immer verständlich beschriebene Auskunft.

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Bei den Interpreten wurden begrüßenswerterweise nicht nur klassisch ausgebildete Künstler, sondern genreübergreifend auch Solisten der Unterhaltungsbranche, Chansonniers und Diseusen in den Band aufgenommen, wobei historische Vokalpersönlichkeiten stärker vertreten sind als zeitgenössische.  Maßgeblich ist ihr „Wirken, das als paradigmatisch oder schulbildend für einen spezifischen Gesangsstil gelten kann oder auch für ästhetische Vorlieben einer bestimmten Zeit steht.“ Die Auswahl allerdings macht deutlich, wie subjektiv solche Bewertungen sind. Warum, um beim Opernmetier zu bleiben, beispielsweise eine Gesangsikone wie Renata Tebaldi oder ein Belcanto-Stilist wie Alfredo Kraus, aber auch prägende Solisten der jüngsten Zeit wie Anna Netrebko oder Juan Diego Florez nicht berücksichtigt wurden, dafür aber Anneliese Rothenberger, Mario Lanza oder Emma Kirkby, darüber kann man durchaus streiten.

Auch eine so umfangreiche Publikation wie die vorliegende muss sich begrenzen. So wurde auf Biografien von wichtigen Vokalkomponisten wie Schubert verzichtet und ebenso auf die Erklärung von Gattungsbegriffen wie Oper oder Musical. Als willkommene Alternative findet man stattdessen Aufsätze über Lied- und Chorgesang im Allgemeinen und über das Spezifische beim Wagner-Gesang.

Das Lexikon ist mit zahlreichen Bildern und Fotos ausgestattet, dazu mit einem biografischen Anhang zu allen Autoren und vielen Verweisen auf ergänzende Literatur. Es eignet sich ebenso zum schnellen Nachschlagen wie zum Schmökern, zum Querlesen wie zum tieferen Eintauchen in die Materie. Am Schluss seines Geleitworts schreibt Thomas Hampson: „Durch den außerordentlichen Fleiß des Teams ist es gelungen, das wahre, ja, manchmal auch mysteriöse Phänomen des Singens und der Stimme zu erfassen“. Dem kann nur beigepflichtet werden.

Karin Coper