Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Mirage im Helmut-Hentrich-Saal - Foto © Susanne Diesner

Hintergründe

Stell dir vor ...

Die Düsseldorfer Symphoniker wollen sich für die Geflüchteten einsetzen, die in ihrer Stadt eine neue Heimat finden sollen. Aber sie machen daraus keine öffentlichkeitswirksame Aktion, sondern starten erst mal im Stillen. Eine schöne Idee.
Arezoo Rezvani stellt das Santur vor. - Foto © Susanne Diesner

Es gibt sie, die andere Seite der Bundesrepublik – die bunte, menschenfreundliche Seite. Auf der Menschen sich von der ersten Stunde an um andere Menschen gekümmert haben, die in höchster Not nichts anderes wussten, als nach Deutschland zu flüchten. Neben den vielen ungenannten Ehrenamtlichen, die für das blanke Überleben der Flüchtlinge vor allem in den ersten Stunden ihrer Ankunft sorgten und sorgen – und dafür auch noch Hohn und Spott über sich ergießen lassen mussten, ohne deshalb den Glauben an einen unserer höchsten Werte, den der Nächstenliebe, zu verlieren, hat es auch viele gegeben, die laut geworden sind gegen die Verzagten und sich aktiv um die Integration der Neuankömmlinge kümmern.

Gerade die Musiker sind auf die Bühnen gestiegen. Von der ersten Stunde an hat Mezzosopranistin Cornelia Lanz die Geflüchteten mit auf die Bühne geholt. In ungezählten Benefizkonzerten haben ganze Orchester um Verständnis für die in Not Geratenen geworben. Und von den Medien weitgehend unbeachtet, geht der Einsatz unermüdlich weiter. Auch wenn es im rauen Klima dieser Republik immer schwerer zu werden scheint.

Katharina Groll ist auch so eine von denen, die irgendwie helfen wollten. Sie hat Fagott an der Essener Folkwangschule studiert, wurde 2010 noch während des Studiums, das sie inzwischen beendet hat, von den Düsseldorfern Symphonikern engagiert, konnte keinen Sprachunterricht erteilen oder Behördengänge unternehmen – so wie die meisten ihrer Kollegen. „Aber wir können Musik und wollen damit Freude bereiten!“ sagte sie sich und überlegte, wie die Düsseldorfer Symphoniker ihren Teil dazu beitragen können, dass sich die Neuankömmlinge in der Landeshauptstadt wohlfühlen. Und was braucht man in der neuen Heimat? Musik. Das wissen die Düsseldorfer Symphoniker wohl am allerbesten – aus 17 Nationen stammen die Orchestermitglieder. Groll rief das Projekt Welcome! – Members of Düsseldorf Symphony for refugees ins Leben. Michael Becker, Intendant der Tonhalle und selbst Freund von innovativen Ideen, unterstützte das Vorhaben. Aber das Ganze sollte „echt“ und nicht bloß ein PR-Gag für die Tageszeitungen sein. Also versammelte die Fagottistin Freiwillige aus dem Orchester um sich. Eine Kooperation mit der Diakonie Düsseldorf war schnell gegründet. Ein Konzertprogramm wurde erstellt, die Karten stickum über die Diakonie an Geflüchtete verteilt. Schon bei der zweiten Veranstaltung waren rund 100 Gäste zugegen.

Musik aus aller Welt
Hornistin Lisa Rogers opfert gern ihre Freizeit. - Foto © Susanne Diesner

Samstagmittag, 14 Uhr. Idylle pur. Die Sonne wirft mildes Oktoberlicht auf die trägen, aber gewaltigen Fluten des Rheins, der an der Tonhalle vorüberzieht und vom Helmut-Hentrich-Saal aus sichtbar ist. Auf den Wiesen des gegenüberliegenden Ufers tummeln sich Hunde mit ihren Spielkameraden. Vereinzelt kann man Menschen erkennen, die über die Oberkasseler Brücke flanieren. Läufer streben vom Ufer in Richtung Innenstadt. Schon am Bühneneingang der Tonhalle freundliche Bedienstete, die einem den Weg in den Kammermusiksaal weisen, der rund 300 Besuchern Platz bietet.

Gerade mal 20 Besucher hat es hierher verschlagen. Das ficht die Musiker nicht an. 25 Symphoniker sind es inzwischen, die hier mit acht Gästen zusammenfinden, um ein gut einstündiges Konzertprogramm zu absolvieren. Da sind sie also, die namenlosen Musiker, deren Gesichter man allenfalls nach einer Aufführung kurz gesehen hat, wenn man ihnen auf ihrer Flucht aus dem Opernhaus begegnet. Die man sich in der Masse des Orchesters nicht merken kann, selbst wenn einem der Blick in den Graben gelingt. Hier sind sie ganz nah und bekommen Namen. Allesamt, einschließlich der Fotografin Susanne Diesner, die das Geschehen dokumentiert, sind ehrenamtlich hier.

Das ist mindestens so eindrucksvoll wie das Programm, das die Musiker zusammengestellt haben. Die Blechbläser eröffnen mit drei Tänzen des Renaissance-Komponisten Tielman Susato. Unter ihnen nur eine Frau, die Hornistin Lisa Rogers, die gemeinsam mit Katharina Groll und Bassam Mussad die Eröffnungsmoderation vorgenommen hat. Anschließend der eindeutige Höhepunkt des Mittags: Arezoo Rezvani stellt als Gast in Begleitung der Querflötistin Juliane Wahl das Santur vor. Ein trapezförmiges, mit 72 Metallsaiten bespanntes Instrument, das im Iran, aus dem Rezvani stammt, eine wichtige Rolle in der klassischen hochvirtuosen Kunstmusik spielt. Wahl und Rezvani erfreuen die Hörer mit einer Komposition von Faramarz Payvar, die die ganze Vielfalt des Schlaginstruments eröffnet. In dem dreisätzigen Duo erklingt die ganze Bandbreite von nach herkömmlich klingenden europäischen Melodien über Dissonanzen oder plötzlichen Wechseln zu orientalischen Klängen. Faszinierend. Und ein großartiges Symbol für die Zusammengehörigkeit der verschiedenen Kulturen, auch wenn es derzeit noch ein wenig gewöhnungsbedürftig klingt.

Kulturen wachsen zusammen

Nach Christoph Willibald Glucks Reigen seliger Geister aus der Oper Orpheus und Eurydike und Joseph Haydns Divertimento B-Dur „mit dem Antonius-Choral“ wird es dann ein bisschen schräg. Die „Big Band“ Mirage, seit 25 Jahren im Geschäft, bringt Tonight und To know you is to love you in einem eigens für die Band angefertigten Arrangement von Don Williams auf die Bühne. Als weiteren Höhepunkt gibt es die Friedenshymne schlechthin, die Paukist Bert Flas arrangiert hat. Pianist Clemens Hoffmann müht sich redlich, Imagine von John Lennon stimmlich halbwegs zu intonieren. Die Gänsehaut bleibt aus, was aber die Begeisterung des Publikums nicht mindert.

Eine gekonnte Jazz-Einlage der Blechbläser unter Leitung von Chris Hazell beschließt einen außerordentlich kurzweiligen Konzertnachmittag. Dass Musiker der Düsseldorfer Symphoniker hier ein außerordentliches Engagement an den Tag legen, ist aller Ehren wert. Und beim nächsten Mal werden sie, was die Besucherzahlen angeht, sicher mehr Glück haben. Denn die Veranstaltung ist für März und Mai noch einmal geplant. Das Konzept stimmt, auch ohne ständig die internationale Sprache der Musik zu bemühen. Groll hat wohl die richtige Idee gehabt: Wenn wir alle uns von unserem Platz, von unserem Können aus um die Gemeinschaft bemühen, können wir die gebrochene Solidarität wiederherstellen.

Kaffee und Kuchen nach einem gemeinsam erlebten Konzert dieser Qualität können da helfen.

Michael S. Zerban