Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Alle Fotos © Uwe Stratmann

Aktuelle Aufführungen

Ein Klassiker, so frisch wie eh und je

WEST SIDE STORY
(Leonard Bernstein)

Besuch am
2. Dezember 2015
(Premiere)

 

 

Opernhaus Wuppertal

Bis sich die qualitativ derzeit arg schlingernde Wuppertaler Oper mit einem neuen Leitungsteam vom Kahlschlag des unglücklich agierenden Intendanten und Generalmusikdirektors Toshiyuki Kamioka erholen kann, ist es nicht falsch, sich auf das Terrain erfolgreicher Stage-Produktionen zu begeben und mit seriöser Professionalität hochwertige Musicals als Publikumsmagneten anzubieten.

Das ist den Wuppertaler Bühnen offensichtlich mit einer vorzüglichen Produktion von Leonard Bernsteins nach wie vor aktuellem und blitzlebendigem Klassiker West Side Story gelungen. Bis Januar sind 22 Vorstellungen vorgesehen. Man hat dabei alles richtig gemacht, indem man eine blutjunge, aber durchaus erfahrene Mannschaft von ausgebildeten Musical-Darstellern zusammenstellte und die Leitung Genre-erprobten Persönlichkeiten wie der Regisseurin Katja Wolff, dem Choreografen Christopher Tölle und dem Dirigenten Christoph Wohlleben überließ. Selbst das Wuppertaler Sinfonieorchester wurde mit Spezial-Kräften aufgestockt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Das Ergebnis ist eine runde Sache. Der Stoff, eine von dumpfem Rassismus durchtränkte, in ein New Yorker Problemviertel verlagerte Version des Romeo-und-Julia-Stoffs ist heute noch so brisant, dass man auf vordergründige Aktualisierungen verzichten kann. Überhaupt hält man sich mit den Dialogen nicht lange auf und stellte Musik und Tanz in den Mittelpunkt.

Foto © Uwe Stratmann

Das zahlt sich aus, erweisen sich doch ausnahmslos alle Akteure als glänzende Sänger, Darsteller und Tänzer. Sarah Bowden als aufregend verführerische Anita assistierte Tölle sogar noch bei der Einstudierung der zahlreichen und vor Vitalität sprudelnden Tänze. Die jungen Leute springen wie Gummibälle über die Bühne. Viel besser geht es kaum.

Dabei scheuen sich sowohl die Regisseurin als auch der Choreograf nicht, die Brutalität der Handlung brutal ausspielen zu lassen. Ein Warnhinweis für Kinder unter 13 Jahren auf dem Programmblatt ist durchaus berechtigt.

Dennoch kommt die satirische Komponente nicht zu kurz. Nicht zuletzt ein Verdienst des Casting-Büros, das jede noch so kleine Rolle punktgenau zu besetzen verstand. Martina Lechner als Maria, die in etwas unschuldiger Naivität in Amerika das Paradies auf Erden erwartet, gefällt durch ihre mädchenhafte Ausstrahlung und ihre glockenhelle Stimme. Gero Wendorff verkörpert einen eher nachdenklichen Tony, der die sozialen und rassistischen Spannungen ausgleichen will und in seinem Traum von der großen Liebe ebenso desillusioniert wird wie Maria. Anita Bowden als Anita ist eine Wucht, ebenso der charismatische Vladimir Korneev als Bernardo.  Man könnte alle Mitglieder der weiß-amerikanischen Jets und der puerto-ricanischen Sharks einzeln aufzählen. Verdient hätten sie es.

Das Bühnenbild von Cary Gayler vermittelt eine graue Betonlandschaft mit einem billigen Supermarkt und einem noch billigeren Wohnhaus. Ein Szenario, das nur in den Träumen der jungen Leute durch das raffinierte Lichtdesign von Pia Virolainen seine Tristesse abschüttelt. Heike Seidler entwarf für die beiden Gangs kontrastreiche Kostüme. Die Jets in Ghetto-Fummeln, die puerto-ricanischen Mädchen in bunten, kurzen Röckchen.

Die Songs werden überwiegend im englischen Original gesungen und übertitelt. In ihrer Inszenierung geht Katja Wolff sehr detailgenau, drastisch und dynamisch vor. Originell die Idee, Marias Song I feel pretty von angenehm berauschten Mädchen singen und tanzen zu lassen. Das Ende, das trotz der wunderschönen Somewhere-Melodie nicht sentimental entgleiten muss, inszeniert Wolff ausdrucksstark, aber werkgerecht dezent.

Dass allzu sanfte Gefühle unter Kontrolle bleiben, dafür sorgt letztlich Christoph Wohlleben, der einen scharfen Orchesterklang mit harten Knalleffekten entfacht, die in keinem Takt vergessen lassen, dass es sich letztlich um eine Tragödie handelt, die in der amerikanischen Wirklichkeit, und nicht nur dort, noch längst nicht ihr Ende gefunden hat.

Standing ovations des munter mitgehenden, mit viel Zwischenapplaus reagierenden Publikums für ein Stück guter Unterhaltung mit Tiefgang.

Pedro Obiera