Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Carsten Czanderna

Aktuelle Aufführungen

Gegen die Einsamkeit

TUPPERTHERAPIE
(Stephan Braun)

Besuch am
7. Oktober 2016
(Uraufführung)

 

 

Theater im Tanzhaus, Wuppertal

Seit vielen Jahren hält der Trend zu Single-Haushalt und Cocooning – dem sich Einigeln in den privaten Wohnbereich – in der Bundesrepublik an. Damit wird ein wichtiger Vertriebsweg von Plastikdosenherstellern bedroht. Ein ganz anderes Problem hat Loretta von der Heyden. Mutter zweier erwachsener Kinder, die im Ausland leben, hat sie ihr Leben ganz auf ihren Mann ausgerichtet, der inzwischen verstorben ist. Nun verlebt sie allein ihren Ruhestand. Kein Problem, bis sie die Beraterin für Küchenhelferbedarf trifft, die ihr vorschlägt, eine Party mit ihren Freundinnen zu veranstalten, um Plastikdosen, Pfannenwender und Quirl an die Frau zu bringen. Es gibt keine Freundinnen, die eingeladen werden könnten. Aber blamieren möchte sich die gutherzige Loretta auch nicht. Ein Aushang beim Arzt sorgt dafür, dass am Tag der Party fünf Frauen in ihrer Wohnung zusammenkommen, um die Küchenhelfer-Präsentation zu zelebrieren. Freilich, wie so oft bei solchen Partys, stimmt die Zusammenstellung der Gäste nicht so ganz. Loretta selbst hat überhaupt keinen Bedarf an weiteren Instrumenten in der Küche. Ulrike Zeidler hat sich ganz der Astrologie verschrieben und ist nur gekommen, weil sie schon zwölf Mal an einer solchen Verkaufsveranstaltung teilgenommen hat. Michelle Harris definiert sich über ihren Reichtum, und Lisa Laumann hat sowieso gar keine Zeit, ist sie doch gedanklich bei Ehemann und Säugling, die zu Hause geblieben sind. So skurril die Figuren, so hoch ist die Herausforderung für die Beraterin Andrea Bender-Bovenkamp, ihre Präsentation vorzutragen.

Aus dieser Situation entwickelt Stephan Braun in Buch und Liedtexten einen Abend, wie er passender für das Genre Musical nicht sein könnte. Es gibt viel zu lachen, ein bisschen sentimental darf man zwischendurch werden und auch, wenn das Ende und vor allem die Botschaft vorhersehbar sind, gelingt Braun mit einem überzeugenden Kniff ein Überraschungserfolg, der selbstverständlich nicht verraten wird. Kristof Stößel, der mit seiner Produktionsfirma nicht nur das Theater im Tanzhaus in Wuppertal betreibt, sondern gleich auch für Regie, Bühne, Kostüme, Licht und Hauptrolle verantwortlich zeichnet, kann bei einem solchen Stoff aus dem Vollen schöpfen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Liebevoll ist die Kleinbühne als Lorettas Wohnzimmer hergerichtet, auch wenn sie für den Raum nicht zu Ende gedacht ist. Denn viele der liebevollen Details bleiben für den Zuschauer in den hinteren Reihen unsichtbar. Da hat Stößel wohl schon ein bisschen zu viel auf Gastspiele geschielt. Ansonsten ist der geringe Raum optimal genutzt. Allein das schon ist bei einem Stück, das mit einer Pause nahezu drei Stunden dauert, bewundernswert. Die Außenräume sind gekonnt in den Saal verlegt. Kostüme sind die Schwachstelle bei dem Tausendsassa. Und dabei sind es weniger die finanziellen Grenzen. Manchmal hilft dann doch die Außensicht, wenn Beraterin Andrea in einem sackförmigen, unvorteilhaften Kleid oder Astrologin Ulli in einem Gewand auftritt, das eher an ein Nachthemd erinnert. Michèle Connah unterstützt die Bewegungsabläufe – vor allem bei den Liedern – mit choreografischer Beratung und trägt damit zu der wieder sehr detailverliebten Personenführung des Regisseurs bei. Dass die Bewegung noch sehr einstudiert wirkt, ist sicher der Uraufführung geschuldet und wird bei diesem Ensemble rasch behoben sein. Das wird auch für das Licht gelten. Dank der Technik sind ohnehin nur sparsame, aber durchaus überlegte Lichtwechsel möglich, die dann in Folgevorstellungen sicher fehlerfrei vonstattengehen.

Foto © Carsten Czanderna

Das Publikum ergötzt sich derweil an den vorzüglichen schauspielerischen und sängerischen Leistungen. Die sind so gut, dass sie noch auf einem x-beliebigen Schulhof in Ostdeutschland begeistern könnten. Allen voran Stößel als Loretta, der wieder einmal mit schier unglaublicher Souveränität agiert. „Selbstverständlich“ wird das Publikum zu Beginn der Aufführung von ihm persönlich begrüßt, ehe er sich in die Rolle stürzt und sich dann auch noch einmal vom Publikum mit Freudentränen verabschiedet. So eindrucksvoll das ist: Die Grenzen zwischen Rolle und Masche sind eng. Auch Angela H. Fischer hat Grenzen zu schaffen. Sehr ähnlich sind die Charaktere der Hildegard Knef, die sie in dem Stück Für mich soll’s rote Rosen regnen immer wieder begeisternd verkörpert, und der Beraterin Andrea. Fischer gelingt es aber, die Rolle der Andrea so auszudifferenzieren, dass ihre Knef für die Dauer der Aufführung in Vergessenheit gerät. Schlechtsitzende Perücke oder unglückliche Garderobe halten sie nicht davon ab, mit punktgenauer Mimik schnoddrig und bissig einen Kontrapunkt zur Musical-Heiterkeit zu setzen und dem Stück damit Würze zu verleihen. Theresa Schulz spielt als „Küken“ der Inszenierung ihre Ausbildung als Musicaldarstellerin in der Rolle von Lisa zur Gänze aus und weiß vor allem mit geschliffenem Gesang zu überzeugen. So wie auch Amanda Whitford als Michelle Harris das Publikum in erster Linie mit ihrem Gesang mitzunehmen weiß. Etliche Stolperer wie auch bei Ilka Schäfer als Ulli werden sich wohl ebenfalls in den Folgevorstellungen erübrigen. Über allem aber steht eine ungeheure Spielfreude, die das Publikum von der ersten Sekunde an mitreißt.

Weniger begeisternd ist der Gesang aus technischer Sicht im Zusammenspiel mit dem Playback. Hier muss am Mischpult noch ordentlich nachgearbeitet werden. Dabei haben gerade der erste und letzte Song durchaus die Qualität zu Ohrwürmern, während sich die übrigen Vorträge eher auf dem üblichen Musical-Niveau bewegen.

Im ausverkauften Saal kocht die Stimmung gleich von Anfang an hoch. Lied- und Szenenapplause feiern diese Uraufführung ebenso wie die stehenden Ovationen. Eine originelle Geschichte in starker Inszenierung. Diese Produktion empfiehlt sich bereits am ersten Abend für sämtliche Bespieltheater dieses Landes. Schließlich wird hier beste Unterhaltung für ein breites Publikum geboten.

Michael S. Zerban