Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN
(Sergej Prokofieff)
Besuch am
29. Oktober 2016
(Premiere)
Humor ist eine delikate Angelegenheit. Das Sensorium des Menschen für das, was er als lustvoll amüsant empfindet, ist individuell ausgeprägt. Daran erinnert die Neuinszenierung von Sergej Prokofieffs feinsinniger Komödie Die Liebe zu den drei Orangen am Wuppertaler Opernhaus. Als Truffaldino in der Premiere der verdutzten Fata Morgana eine Portion Spaghetti ins Gesicht pfeffert, kugeln sich einige Besucher vor Lachen, andere reagieren peinlich berührt. Wer hat Recht?
Vielleicht sollte man stärker der Musik vertrauen, die Prokofieff so feinfühlig strickte, dass Slapsticks in Serie ohne jede ironische Brechung zum Stück so wenig passen wie Zoten zum Don Giovanni. Und damit wirft die Neuinszenierung ein bedenkliches Licht auf das Werkverständnis von Sebastian Welker. Eine Arbeit voller aufgesetzter Komik und Widersprüche, so dass man ihr nicht anmerkt, dass Welker immerhin mit Regisseuren wie Willy Decker und Christoph Loy zusammengearbeitet hat.
Musik | |
Gesang | |
Regie | |
Bühne | |
Publikum | |
Chat-Faktor |
Dass die Szenerie in ein zirzensisches Umfeld verlagert wird, ist legitim. Die Clowns lärmen bereits vor der Vorstellung in den Logen und Foyers lautstark. Ein Einstieg, der in den folgenden Chorszenen zu einem Streit zwischen Anhängern der Tragödie und der Komödie eskaliert. Dass Prokofieff dabei auf den um 1920 in Russland hohe Wellen schlagenden Streit zwischen der realistischen Theaterästhetik Stanislawskis und den Reformbestrebungen Meyerholds anspielt, wird nicht berücksichtigt, was für den heutigen Zuschauer allerdings keinen Verlust bedeutet.
Da Welker jedoch zur Chorführung relativ wenig einfällt, beschäftigt er die Choristen und Statisten mit Selfie-Produktionen in allen Stellungen. Auch sonst hält er das Spieltempo im Turbo-Gang, bevor er ausgerechnet den bühnenwirksamen Versuchen der Spaßmacher, den an Melancholie leidenden Prinzen zum lebenserhaltenden Lachen zu motivieren, die Luft ablässt, indem das Geschehen hinter einer tristen Wand lediglich berichten lässt. Immerhin darf man vor der Mauer das Wunderwerk der Spaghetti – wenn auch dezent ohne Ketchup – im Gesicht Fata Morganas bewundern, was beim Prinzen endlich die befreiende Lachsalve auslöst.
Auch nach der Pause viel Klamauk und ebenso viele vertane Chancen. Bei den Orangen, in die sich der Prinz zur Strafe verlieben muss, bleibt es bei handelsüblichen Früchten aus dem Supermarkt, die bedrohliche Kelle der bösen Köchin scheint der Theaterkantine entliehen zu sein und von der Dämonie des Gruselschlosses der Kreonta ist nichts zu sehen. Natürlich auch nicht von der Ratte, die die hübsche Ninetta am Ende in Schrecken versetzen soll.
Hier stellen sich überdrehte Effekthascherei und kopflastige Askese gegenseitig ein Bein. Wenn man das Stück schon wie im zweiten Teil ausbluten und skelettieren möchte, dann muss wenigstens die Personenführung punktgenau ausgeführt werden. Und da überlässt Welker zu viel dem Zufall. Man singt ab und zu mit- und fast immer nebeneinander. Die Beziehungen zwischen den Figuren bleiben allenfalls angedeutet, so dass die Produktion einen bedenklich unausgereiften Eindruck hinterlässt.
Riesige, chaotisch ineinander verschachtelte Buchstaben sorgen im Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic schon optisch für Turbulenzen, schränken allerdings auch die Bewegungsmöglichkeiten ein. So bunt die zirzensische Szenerie anmutet. Was nutzt sie, wenn Schlüsselszenen quasi vor geschlossenem Zwischenvorhang gespielt werden? Probleme, die sich auch auf die bunten Kostüme von Doey Lüthi auswirken.
So grob wie auf der Bühne geht es auch im Orchestergraben zu, so dass auch mancher Sänger hinter seinen Möglichkeiten zurückbleiben muss. Johannes Pell scheint sich am Pult des Wuppertaler Sinfonieorchesters von der raubeinigen Inszenierung infizieren zu lassen. Von den orchestralen Raffinessen der Partitur ist jedenfalls wenig zu hören.
Dennoch hat der Abend seine vokalen Meriten. An der Spitze überzeugt Sangmin Jeon als Prinz, der über einen sensationell strahlenden und sicher geführten Tenor verfügt. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Rollen vorzüglich besetzt. So Chariklia Mavropoulou als sehr markant auftrumpfende Fata Morgana, Nina Koufochristou als auch stimmlich geschmeidige Smeraldina und der weibliche Bariton Lucia Lucas als Tschelio. Simon Stricker als Leander und Catriona Morison als Komplizin Clarice geben ein gut aufeinander abgestimmtes Gaunerpaar auf vorzüglichem vokalem Niveau ab. Als Aktivposten ist auch der Chor hervorzuheben.
Das Publikum reagiert überwiegend begeistert und amüsiert auf diese vordergründig erheiternde Angelegenheit ohne jeden Tiefgang. Keine Sternstunde der Wuppertaler Oper. Eine Produktion, die aber immerhin mit etlichen vorzüglichen Gesangsleistungen Anlass zur Hoffnung auf bessere Zeiten zulässt.
Pedro Obiera