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Foto © Nik Schölzel

Aktuelle Aufführungen

Frauenkarriere

DIE PÄPSTIN
(Anna Vita)

Besuch am
29. Oktober 2016
(Premiere)

 

 

Mainfranken-Theater Würzburg

Es ist schwer, eine lange Geschichte ohne Worte, nur durch Bewegung zur Musik, durch Farben und bildliche Assoziationen zu erzählen. Genau das versucht Anna Vita mit ihrem Ballett Die Päpstin im Mainfranken-Theater Würzburg über die Legende um die angebliche Päpstin Johanna, frei nach dem Roman von Donna Woolfolk Cross.

Die Handlung dieser bizarren Geschichte, angesiedelt im Mittelalter, spielt zuerst im Haus der eigenen Familie in Ingelheim, dann in der Gastfamilie bei Gerold in Dorstadt, schließlich im Kloster Fulda und in Rom. Im Grund geht es um die Selbstbehauptung einer Frau, einer intelligenten und wissbegierigen Person, der, wie damals üblich, der Zugang zur Bildung verwehrt ist; nur Söhne durften die Universität besuchen, und Bildung lag in der Hauptsache in Händen der Klosterschulen. Ein Mönch, Esculaptius, entdeckt die Intelligenz und Begabung von Johanna und empfiehlt sie weiter in eine höher stehende Gastfamilie; in Dorstadt findet sie Aufnahme am Hof des Gerold, mit dem sich eine Liebesbeziehung entwickelt, sehr zum Missfallen von dessen Ehefrau. Als Gerold im Ausland weilt, versucht die, Johanna vom Hof zu entfernen. Doch nach einem Überfall der Normannen kann sich Johanna als einzige, als Mönch verkleidet, retten und flieht ins Kloster Fulda. Dort erlernt sie die Heilkunst, wird aber bei der Pflege von Kranken selber krank und muss, um nicht entdeckt zu werden, erneut fliehen. Sie gelangt nach Rom und kann dort auch den kranken Papst heilen. Auch Gerold gelangt im Gefolge des Kaisers nach Rom, erkennt Johanna wieder; die Liebe wird erneuert. Doch als nach der Vergiftung des Papstes Johanna überraschend von den Kardinälen zum neuen Papst gewählt wird, beginnt die Katastrophe: Gerold wird hinterrücks ermordet, und die Päpstin Johanna, wohl schwanger, erleidet eine Fehlgeburt und stirbt.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Leider hat die Geschichte mit ihren vielen Schauplätzen und Zufällen einen Haken: Sie widerspricht bei zu vielen äußeren Begebenheiten dem, was Tanz eigentlich ausdrücken will und kann, nämlich emotionale Konflikte und innere Auseinandersetzungen, Gefühle zu zeigen, von denen der Mensch bewegt wird. Solches findet weniger statt in den vielen Szenen im Kloster, bei den Heilungen, den Vorgängen im Vatikan. Da hat die choreografische Umsetzung einfach Längen, da wirkt manches stereotyp, etwas spannungslos, gewollt, allzu sehr wie Pantomime.

Foto © Nik Schölzel

Dennoch gelingt ein beeindruckender Abend, nicht nur wegen der hervorragend kombinierten Musikauswahl vom Band, die nur manchmal durch Glockengeläut oder Schwerterklirren angereichert wird. Vor allem atmosphärisch passen die Musikstücke von Bach über Pärt bis zu Gorécki und Computersound, von beklemmend bis weihevoll oder aggressiv, bestens zur jeweiligen Situation. All das unterstreicht die Zeitlosigkeit, verortet die Handlung nicht in einem bestimmten historischen Rahmen.

Ähnliche Effekte bewirkt die geschickte Ausstattung von Sandra Dehler. Große, spitze Streben an den Seiten der Bühne formieren sich manchmal zu einem angedeuteten hohen Raum oder einer Kathedrale, können herabgesenkt werden, sich ineinander verzahnen und erinnern so an Gitter, Gefängnis, an ein Dornengestrüpp, alles durch symbolische Lichtwechsel von Walter Wiedmaier unterstützt. Nur wenige Requisiten wie Tisch und Stuhl oder zwei Bänke sind vonnöten. Die zeitlosen, fließenden Kostüme versinnbildlichen durch ihre Farben bestimmte Gesellschaftsgruppen und Haltungen. So wechselt die Kleidung der Johanna vom mädchenhaft sanften Blau, als sie sehr jung ist, zum Schwarz bei der Tracht der Kleriker und schließlich zu Weiß, als sie Päpstin wird. Bezeichnend für die Schwere dieses Amtes ist der Mantel, der sich von oben herabsenkt, starr, wie eine Schutzhülle, in die sie sich zurückziehen kann, solange sie das Amt ausübt. Alles endet mit der im Hintergrund angedeuteten Fehlgeburt.

Aber ohne die Ausstrahlung der überragenden Kaori Morito als Johanna hätte diese Balletterzählung viel an Spannung verloren. Denn die wunderbar biegsame, sich stets ausdrucksstark bewegende Tänzerin gestaltet zuerst ein lebendiges, lebensfrohes junges Mädchen im Kreis ihrer Familie; heimlich lernt sie von ihrem Bruder Matthias, dem jugendlich unbekümmerten Aleksey Zagorulko, Lesen und Schreiben, bis ihr Vater, äußerst aggressiv und bestimmend, Joannis Mitrakis, ihr das verbietet; gegenüber diesem gewalttätigen Patriarchen kann sich auch die Mutter, zart und ätherisch elegant getanzt von Cara Hopkins, nicht durchsetzen. Nach dem Tod von Matthias wird der etwas tumbe Johannes, Mihael Belilov, zur Bildung ins Kloster geschickt; dabei entdeckt der Mönch Esculaptius ihre erstaunlichen geistigen Fähigkeiten; Leonam Santos gestaltet ihn sympathisch mit weichen, runden Bewegungen. Auf seine Vermittlung hin kommt sie ins Haus von Gerold. Davit Bassénz tanzt ihn kraftvoll, weit ausgreifend, und sein verliebter Pas de deux in überraschenden, einfallsreichen Figuren, mit der unglaublich geschmeidigen Kaori Morito als Johanna ist ein Höhepunkt des Abends. Die Eifersucht seiner Frau Richild ist durchzuspüren aus jeder der großen, weit ausgreifenden Gesten, Sprünge und der Spannung bis in die Fingerspitzen bei Camilla Matteucci. In den folgenden Szenen müssen die Mitglieder der kleinen Würzburger Ballettcompagnie ständig in neue Rollen, etwa als Mönche oder Volk schlüpfen, ihr Bewegungsrepertoire jeweils verändern. Beeindruckend dabei die fünf kranken Frauen, ebenso alle Tänzerinnen und Tänzer packend und sich steigernd in Rom bei ihren Formationen als Volk, in diagonaler Anordnung oder im Kreis, stets synchron, beim Empfang des Kaisers oder bei der etwas ausufernden Feier nach der Papstinthronisation. Der Stil dieses zweistündigen Handlungsballetts reicht von wenigen Momenten mit klassischem Spitzentanz bis zu modernem Ausdruckstanz mit einigen überraschenden Elementen am Boden und ungewöhnlichen Hebefiguren.

Die vielen Würzburger Ballettfreunde im ausverkauften Haus feiern „ihr“ Ballett mit langem, begeisterten Beifall.     

Renate Freyeisen