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Alle Fotos © Falk von Traubenberg

Aktuelle Aufführungen

Das Böse eliminiert sich selbst

JEKYLL & HYDE
(Frank Wildhorn)

Besuch am
4. Dezember 2015
(Premiere am 21. November 2015)

 

 

Mainfranken-Theater Würzburg

Der Mensch trägt gleichzeitig das Gute und das Böse in sich. Das wird im Musical Jekyll & Hyde von Frank Wildhorn und Leslie Bricusse nach der berühmten Novelle von Robert Louis Stevenson aus dem Jahr 1894 auf spannende und etwas gruselige Weise deutlich.

In den Hintergrund treten dabei allerdings weitere Fragen, wie etwa die nach einer gespaltenen Persönlichkeit bei Schizophrenie-Kranken oder die nach dem Zustand der Gesellschaft. Eine solche Problematik ist eigentlich immer aktuell, wenn es wie hier darum geht, dass für den sozialen Erfolg die Wahrung der äußeren Fassade eminent wichtig ist. Also gilt es, nach außen hin Gelingen, heile Welt, Harmonie, Glanz zu zeigen, auch wenn die zwischenmenschlichen Verhältnisse zerrüttet sind, wenn moralische Verkommenheit kaschiert wird mit weihevollem Auftreten. Gegen solche Heuchelei wendet sich das Musical; und auch wenn das Geschehen durch die prächtigen Kostüme von Götz Lancelot Fischer in der Würzburger Inszenierung ins viktorianische Zeitalter versetzt wird, bleibt die menschliche Problematik immer aktuell. Im Vordergrund steht die Frage nach der Doppelnatur des Menschen und ob das Gute oder das Böse siegt. Vielleicht wegen der Überzeitlichkeit dieser ungelösten Frage, die mal dem Zufall, dem sozialen Umfeld, mal der genetischen Disposition, mal dem naturwissenschaftlichen Experimentierfeld – wie hier im Musical – überlassen bleibt, sicher auch vom Geld abhängt, lässt Regisseur Ivan Alboresi in seiner packenden Inszenierung den guten Dr. Jekyll alias Hyde – sein böses Alter Ego – als einzigen in heutiger Kleidung auftreten und am Schluss, als er sich vom Bösen nicht mehr befreien kann, gänzlich tätowiert erscheinen. Dass alles wie eine Versuchsanordnung in einem hohen dunklen Raum mit verschiebbaren Wänden, Spiegeln, auf- und abfahrenden Podesten mit sparsamer Möblierung anmutet, dafür sorgt die sich ständig verändernde, im Grund leere Bühne von Bernd Franke. Wie in kurzen Spots laufen die Szenen ab, und meist steht Dr. Jekyll/Hyde allein als einsamer, sich quälender, von Albträumen und Obsessionen verfolgter Mensch im Fokus.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Alles lebt von der überragenden Darstellungskunst von Armin Kahl; er zeigt Dr. Jekyll als freundlichen, wenn auch von wissenschaftlichen Interessen getriebenen Arzt, der dem Geheimnis und den Ursachen des Wahnsinns aus Mitleid mit seinem an Schizophrenie erkrankten Vater auf die Spur kommen möchte. Schleichend aber verändert sich das Benehmen des Arztes nach seinem Eigen-Experiment, und er wird dann rapide zum gewalttätigen, mörderischen Edward Hyde, der ganz London in Angst und Schrecken versetzt. Es ist eine Klasse für sich, wie Kahl als Jekyll unter dieser Veränderung leidet, schnaufend, röchelnd, wie er sich verbogen wie ein Tier bewegt; obendrein singt er hervorragend, kann weich schmeichelnd seine Stimme dahinschmelzen lassen, wenn er seiner Liebe zu Lisa Ausdruck verleiht, kann aber auch schneidend, aggressiv als Hyde seine perversen Gelüste herausstoßen.

Foto © Falk von Traubenberg

Ihm ebenbürtig ist Barbara Schöller als äußerst aufreizende Puffmutter Lucy Harris; als ausgebeutete Frau sucht sie Hilfe beim mitleidigen Jekyll, gerät aber letztlich an Hyde, der sie brutal ermordet; es geht unter die Haut, wie die Mezzosopranistin auch stimmlich ihre weiblichen Seiten aufscheinen lässt, wie sie erotisch lasziv volle, runde Tiefen gestaltet, wie sie ansonsten mit Elan ihre Bitten vorträgt. Gegen sie wirkt Anneka Ulmer als ihre Prostituierten-Kollegin Nellie recht harmlos. Als nette, treue Verlobte Lisa des zwiegespaltenen Jekyll überzeugt Anja Gutgesell in Spiel wie in Gesang. Daniel Fiolka ist ein stets loyaler Freund John des sich immer mehr zu Hyde wandelnden Jekyll; er erschießt am Schluss in Notwehr seinen Freund und befreit somit die Welt von dessen Wüten. Als Brautvater Sir Danvers Carew imponiert Bryan Boyce durch seine Standhaftigkeit und seinen starken Bass. Die herausragenden Mitglieder der „feinen“ Londoner Gesellschaft, wie die eingebildete Lady Beaconsfield, Monika Eckhoff, der moralisch verkommene Bischof von Basingstoke, Herbert Brand, der steife Lord Savage, Paul Henrik Schulte, oder General Lord Glossop, David Hieronimi, sind in gewisser Weise menschliche Zerrbilder; ob sie deshalb gleich den Tod durch Hyde verdient haben? Der Chor, einstudiert von Michael Clarke, aus dessen Reihen auch die kleineren Rollen gut besetzt sind, gefällt durch stimmliche Präsenz und ist dabei ständig in Bewegung. Ein echter „Hingucker“ ist die Ballettcompagnie des Mainfranken-Theaters bei der Szene in der Bar zur Roten Ratte; da merkt man, dass der Regisseur vom Tanz kommt.

Natürlich ist die Musik Wildhorns, recht konventionell und eingängig, manchmal auch sich irgendwie wiederholend, nicht jedermanns Geschmack; für manchen ist die Lautstärke – per Microport bei den Stimmen – gewöhnungsbedürftig. Doch Sebastian Beckedorf am Pult des Philharmonischen Orchesters Würzburg erledigt seine Aufgabe mit viel Engagement.

Und so feiert das Publikum im voll besetzten Haus bei der dritten Vorstellung vor allem die Hauptdarsteller mit langem Beifall.    

Renate Freyeisen