Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Foto © Nik Schölzel

Aktuelle Aufführungen

Schluss mit lustig

DIE HUGENOTTEN
(Giacomo Meyerbeer)

Besuch am
2. Oktober 2016
(Premiere)

 

 

Mainfranken-Theater Würzburg

Schon in Giacomo Meyerbeers 1836 uraufgeführter Oper Die Hugenotten  war der religiöse Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten beim Massaker der Pariser Bluthochzeit 1572, der so genannten Bartholomäusnacht, nur ein Thema im Hintergrund.

Auch bei der Inszenierung von Tomo Sugao im Mainfranken-Theater Würzburg ist dieses Motiv weitgehend vernachlässigt. Doch ganz vom geschichtlichen Kontext abzugehen, führt zu einer gewissen Inkonsequenz, zur Zwiespältigkeit in der Handlung. Denn der Text von Eugène Scribe sowie die musikalischen Anspielungen des Komponisten, etwa auf das quasi leitmotivisch sich wiederholende Kirchenlied Luthers Ein feste Burg ist unser Gott oder den Kreuzfahrerschlachtruf Gott will es! beim Mordkomplott weisen doch auf diese religiöse Auseinandersetzung hin. Eine solche Verortung im geschichtslosen Raum aber führt dazu, dass die Hälfte der Oper bis in den dritten Akt hinein eher einer Operette oder einem Kabarett gleicht; mit dem vierten Akt ist dann endgültig Schluss mit lustig, und der übersteigerte Spaß hört auf.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Da gibt es dann auch keine Glitzerkostüme und grotesken Transvestiten-Verkleidungen der völlig enthemmten „katholischen“ Vergnügungs-Gesellschaft mehr, keine seltsam überkandidelten Festkostüme der altmodisch verklemmten, rothaarigen „protestantischen“ Bürgerlichen, sondern eine graue, düstere Masse in Hosen mit Hosenträgern über Unterhemden, und auch Valentine, die Tochter des katholischen Grafen St. Bris, hat vom getupften Petticoat-Kleid über eine schwarze Robe hin zum schlichten schwarzen Kleid die Garderobe gewechselt. Nur einer muss immer noch im unvorteilhaften Matrosenanzug auftreten, Raoul, der hugenottische Edelmann. Diese Kostüme, auch das pompös übertriebene Äußere der Königin Margarethe, stammen von Pascal Seibicke.

Foto © Nik Schölzel

Alles beginnt mit einer morbid lasziven Party in einer Art Revuetheater, bis dann nach der schwarzen Hochzeit von Valentine und Nevers und dem Mordkomplott die Bühne von Julia Katharina Berndt ganz leer bleibt und die vorherigen hölzernen Theater-Umrahmungen mit grünen Vorhängen ganz verschwinden. Der koboldähnliche Erzähler, Barbara Schöller, ganz in Weiß, wird dann auch nicht mehr benötigt und kurzerhand umgebracht. Als die Ermordung der Hugenotten, angedeutet durch Maschinengewehrgeknatter, stattgefunden hat, der Himmel sich über dem toten Liebespaar öffnet, Glitter herabstreut und der Chor vorne an der Rampe marschierend aufstampft, ist Schluss einer Handlung. Sie hat eigentlich keine logische Entwicklung, sondern zeigt nur Stationen, Bilder, Tableaus. Damit entspricht sie in etwa dem Libretto, aber kaum der Musik Meyerbeers, die das Geschehen lebendig werden lässt. Immerhin bewegt die Regie die Massen des Chors unentwegt, sei es um die lustbetonte Spaßgesellschaft der „Katholiken“ oder die ernsten, konventionellen Hugenotten ständig über die Theater-Rahmen klettern zu lassen oder die mordlüsternen Leute am Publikum entlang zu schleusen, bis sie sich in einem gewaltbereiten Zug quer über die Bühne formieren.

Während die Chorszenen mit der Zeit im ersten Teil trotz aller gewollt skandalösen Äußerlichkeiten etwas langweilen, fasziniert die musikalische Seite der Aufführung. Enrico Calesso am Pult lässt das Philharmonische Orchester Würzburg alle Regungen der Partitur sehr genau nachvollziehen; schon nach dem fast andächtigen Beginn mit den – leider nicht immer ganz intonationssicheren – Geigenfiguren und der ständig anklingenden Kirchenlied-Melodie bricht dann fast überstürzt das Düstere, Laute, Gewalttätige ein. Darin zeigt sich der innere Konflikt zwischen dem Rauschhaften und dem Gemäßigten, den diese Grand opéra formuliert. In ihr werden ehrliche Gefühle anfangs verlacht; das hört man; später wird die aufgeheizte Stimmung ab dem dritten Akt sehr deutlich. Auch die Instrumental-Soli gelingen als Vorbereitung auf Einzelauftritte der Protagonisten gut.

Besonderen Glanz aber verleihen der eigentlich in sich gespaltenen Inszenierung die Stimmen, allen voran Claudia Sorokina als Königin Margarethe von Navarra. Ihr großer, brillanter Sopran, bestens verständlich, bewältigt auch die kühnsten Verzierungen, Triller und höchsten Höhen ohne Anstrengung, makellos, strahlend und mit Glanz, und als Figur beeindruckt sie auch durch ihre elegante äußere Erscheinung. Ihr zur Seite steht Urbain, ihr Page, und Silke Evers meistert ihre Partie souverän mit ihrem runden, schön timbrierten, höhensicheren Sopran und locker dahinlaufenden Koloraturen; auch die zwei Ehrendamen, Anke Hájková Endres und Anja Gutgesell, und die zwei katholischen Mädchen, Hiroe Ito und Eva-Maria Wurlitzer, gefallen nicht nur stimmlich. Die unglückliche Valentine, zwischen den zwei Seiten der religiösen Parteien und Liebe und Pflicht hin- und hergerissen, scheitert daran; erst im Tod findet sie Erfüllung. Karen Leiber verkörpert diese tragische Figur mit viel Einsatz und ihrem hochdramatischen, glanzvollen Sopran. Um sie bewerben sich zwei Männer, der aufrechte Katholik Graf von Nevers, zwischen Partygänger und Held schwankend, den Daniel Fiolka mit stets angenehm klingendem, männlich vollem Bariton beeindruckend zeichnet, und Raoul, der hugenottische Edelmann; er wird begleitet von seinem treuen Diener Marcel, einem fanatischen Verfechter der protestantischen Lehre; Tomasz Raff singt ihn mit starkem, tief gründelndem, etwas dumpfem Bass. Den rücksichtslos unbeugsamen Vater der Valentine singt und spielt Bryan Boyce passend mit kräftiger, energischer Stimme. Der angenehm klingende Tenor von Maximilian Argmann ist in zwei Rollen beschäftigt, als hugenottischer Soldat Bois-Rosé und als katholischer Edelmann Tavannes. Auch die übrigen Adligen finden überzeugend singende Darsteller. Alle Männerstimmen aber werden überstrahlt von Uwe Sickert als Raoul; er gestaltet diesen unglücklich Verliebten sehr ergreifend mit seinem jugendlich hellen Tenor und fein glänzenden Höhen. Eine mitreißende Wucht aber sind die großen Chöre; einstudiert von Anton Tremmel, bewältigen sie mühelos auch schwierige Tempowechsel, klingen immer ausgewogen und flexibel, können ohne Härten steigern. Sie haben am Schluss die Oberhoheit.

Das Premierenpublikum im nicht voll besetzten Haus feiert Sänger und Musiker mit einhelligem, langem und jubelndem Beifall sowie stehenden Ovationen; beim Regieteam gehen die Meinungen auseinander. Wer das Werk nicht kennt, findet es vor allem im ersten Teil recht unterhaltsam, wer es kennt, vermisst eine sinnvolle, durchgehende Linie.

Renate Freyeisen