Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Foto © Paul Leclaire

Aktuelle Aufführungen

Junghänel als Klangmagier

ALCINA
(Georg Friedrich Händel)

Besuch am
9. April 2016
(Premiere)

 

 

Hessisches Staatstheater Wiesbaden

Eifersucht ist der Stoff, aus dem Beziehungsdramen schöpfen. Psychologen deuten dahinter fehlende Reife und Persönlichkeit, Ängste und Egoismus. Regisseur Ingo Kerkhoff stellt diese Seelenzustände in das Zentrum seiner Deutung von Alcina. Damit verfolgt er einen Ansatz, der ihn schon zu seiner ersten Alcina-Produktion vor vier Jahren in Köln leitete.

Bereits damals mit Bühnenbildnerin Anne Neuser und Kostümbildner Stephan von Wedel an seiner Seite und Franziska Gottwald in der Partie des Ruggiero reduzierte Kerkhoff Bühne, Ausstattung und Bewegung auf ein Minimum. Zur jüngsten Premiere am Staatstheater in Wiesbaden erreicht Kerkhoff in seiner Überarbeitung einen neuen Grad, der dazu berechtigt, von einer maximal halbszenischen Umsetzung zu sprechen. Seine Wiesbadener Alcina erstrahlt am Ende als reinkarnierte Lichtgestalt, umgeben von untoten Liebespaaren, die nicht mehr zueinander finden, weil ihnen die Eifersucht den Blick auf wahre Empfindungen verwehrt. Diese neue Schlusssicht im dritten Akt gleicht einer Ehrenrettung der Regie, die in der auf zweieinhalb Stunden gekürzten Fassung aufgrund mangelhaft differenzierter Darstellung nicht wirklich überzeugt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Georg Friedrich Händels Zauberoper Alcina basiert auf dem sechsten und siebten Gesang von Ariostos Epos Orlando furioso. Im Zentrum steht Alcina, Inbegriff trügerischer Schönheit. Sie lockt, verführt, verwandelt und hält gefangen, wer sich als Mann auf ihre Insel verirrt. Bis sie Ruggiero trifft. Sie verliebt sich, verliert sich und wird zur tragischen Heldin. Händel erfand dafür berückend schöne, in sich fein durchwobene Charaktermusik, um die ganze Bandbreite an Gefühlen, die seine Titelheldin bewegen, zu beschreiben.

Foto © Paul Leclaire

Das will Kerkhoff zeigen. Dafür baut Anne Neuser Bühnenräume als Orte von Seelenzuständen. Im ersten Akt die raumhohe Treppe als Durchgangsraum, in Akt zwei die Wand am vorderen Bühnenrand, laut Kerkhof das Zentrum im Labyrinth, tatsächlich eine Projektionsfläche für ein Alcina-Schattenspiel, das kurzzeitig Hoffnung auf tiefere Deutung weckt als das tatsächlich erlebte monotone Hin und Her zu wundervoller Musik. Im dritten Akt überzieht den tiefen Bühnenraum ein schiefes Dach. Alle Grenzen sind aufgehoben, jeder ist auf sich geworfen. Das wirkt schlüssig. Stephan von Wedel kleidet die Darsteller in Kostüme, die an die Entstehungszeit der Oper erinnern. Bei den Männern dominiert schwarzweiß, Alcina wechselt von Akt zu Akt vom leuchtenden strengen Königsblau über goldenes Gelb zu einem erdgefärbten Rot, das sich am grellweißen Hochzeitskleid der ewigen Braut bricht. Ansonsten herrscht Dunkelheit und Düsternis.

In diesem Umfeld durchläuft Alcina, von ihrem Naturell als Heuchlerin angelegt, im Augenblick echter und tief empfundener Liebe alle Phasen der Verzweiflung bis zur Selbstaufgabe. Der Verlust ihrer Zauberkräfte ist nur Sinnbild für ihren tief empfundenen Schmerz. Während die Paare um sie herum, vom Eifersuchtsspiel geblendet und an der Treue verzweifelt, unfähig geworden sind zur reinen Liebe, erhebt sich Alcina, nachdem Ruggiero sie erdolcht hat, als Hoffnungsträgerin.

Heather Engebretson in der Titelpartie ist eine Fehlbesetzung. Ihr gelingt es in keinem Moment, die in der Musik so differenziert angelegten Charakterzüge der Alcina zu verkörpern. Bestenfalls nimmt man ihr das Wesen einer verstockten Infantin ab, nicht aber das der Königin. Auch musikalisch schmerzlich hörbar wird das im zweiten Akt. Quasi aus dem Nichts setzt sie zu ihrer cis-moll-Arie Ah! Mio cor! an, was aufhorchen lässt. Doch schon am unmittelbar folgenden Sprung scheitert sie. Auch im weiteren Verlauf der vielen noch folgenden Seelenspiegel in Musik steckt sie offensichtlich in der Phase des Bemühens um sauber artikulierte Phrasen und nuancenreiche Färbungen, was ihr technisch gelingt. Mehr jedoch nicht. Weniger dramatisch angelegt ist die Partie von Alcinas Schwester Morgana. Katharina Konradi zeigt sich quirlig und verleiht der Rolle stimmliches Profil. Franziska Gottwald hat in Hosenrollen reichlich Erfahrung. Mit ihrem überaus beweglichen wie geschmeidigen Mezzo verkörpert sie glaubhaft Ruggiero, mimt einen zwischen Liebe und Pflicht Hin- und Hergerissenen, der am Ende kapituliert. Silvia Hauer beweist Stehvermögen nicht nur in der brillanten Fechtszene, sondern auch in ihrer Partie als betrogene Verlobte mit einem bisweilen scharf metallischen Beiklang. Benedikt Nawrath als Oronte und Wolf Matthias Friedrich agieren fehlerfrei, jedoch klanglich zu rau und glanzlos. Bezüglich ihres Timbres zu weit ab liegen sie an diesem Abend vom absolut transparenten Idealklang aus dem Orchestergraben, der das Publikum fasziniert.

Konrad Junghänel ist bei dieser Aufführung der eigentliche Zauberer, der seine Musiker, Mitglieder des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden sowie Zusatzkräfte, über sich hinaus wachsen lässt. Überdeutlich und perlend gelingen die reichen Verzierungen. Mühelos gestalten die Musiker federnd leicht und dicht im Zusammenklang, vielfarbig, klangschön und in jedem Moment fesselnd dramatisch Händels Meisterwerk. Und in der Eingangs- und Schlussszene, wenn der Chor, wieder einmal hervorragend einstudiert von Albert Horne, von den seitlichen Logen aus seine Gesänge intoniert, sich am Ende mit einem herrlich leuchtenden Solistensextett verbindet, erklingt Händels Musik so schön wie selten.

Der Beifall am Ende belegt die Begeisterung des Publikums.

Christiane Franke