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Alle Fotos © Michael Pöhn

Aktuelle Aufführungen

Erst die Endlichkeit macht das Leben wertvoll

VĚC MAKROPULOS
(Leoš Janáček)

Besuch am
18. Dezember 2015
(Premiere am 12. Dezember 2015)

 

 

Wiener Staatsoper

Sie ist unvorstellbare 337 Jahre alt, ist immer noch wunderschön und heiß umschwärmt: Emilia Marty alias Elina Makropulos, die gefeierte Operndiva. Ihr Vater, Leibarzt des Habsburgerkaisers Rudolf II in Prag, hat im ausgehenden 16. Jahrhundert an seiner Tochter ein lebensverlängerndes Elixier ausprobiert, dessen Wirkung nun demnächst ausläuft. In Věc Makropulos – Die Sache Makropulos, der vorletzten Oper von Leoš Janáček, 1926 uraufgeführt, geht es aber nur scheinbar vordergründig um einen seit hundert Jahren andauernden Erbstreit, in dem Emilia an das Rezept für den Zaubertrankkommen will. Die eigentliche Hauptfrage des Werkes ist vielmehr, ob es wirklich erstrebenswert ist, ewig zu leben. Denn es ist unschwer zu erkennen, dass die Protagonistin ihres Lebens überdrüssig ist, ihre Umwelt und das Leben insgesamt sie langweilt und sie den Nachstellungen der Männer nur noch mit Verachtung, Kälte und Zynismus begegnet. Und tatsächlich, obwohl sie die Rezeptur letztlich in den Händen hält, entscheidet sie sich doch für den Tod als Erlösung, denn erst die Endlichkeit macht das Leben wertvoll.

Altmeister Peter Stein, einer der prägenden Regisseure in den 1970-er bis 90-er Jahren, hat ja bekanntlich dem Radikalismus abgeschworen und bekennt sich in seinen heutigen Inszenierungen zur absoluten Librettotreue. Und so zeigt er in einer sorgfältigen, liebevollen, detailversessenen und routinierten Regie dieses eher selten gespielten Musikdramas, das überhaupt erstmalig an der Wiener Staatsoper zu erleben ist, reinsten Realismus: Und das, ohne die Sänger in irgendeiner Weise zu stören, in historisch rekonstruierten Kulissen: Einer mit Gerichtsakten bis oben hin vollgestopften, altmodischen Rechtsanwaltkanzlei im ersten Akt, der Bühne der Wiener Staatsoper mit Blick auf den Zuschauerraum im zweiten und im dritten einer eleganten Hotel-Suite im Art-Déco-Stil. Die Kulissen wurden von Ferdinand Wögerbauer kreiert. Die Kostüme von Annamaria Heinreich sind im Stil der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts angefertigt. Die Protagonisten dürfen überwiegend in bequemen Polstermöbeln sitzen. Richtig packt jedoch der erste Akt nicht, zu mühsam und zu wenig inszeniert ist die Konversation der Prozessgegner. Erst wenn im zweiten Akt Emilia auf leerer Bühne die Operndiva herauskehren darf, ändert sich das. Ganz gelungen ist dann der letzte Akt, wenn einer der Verehrer nach einer erkauften Liebesnacht das Rezept herausrückt, Emilia schließlich doch darauf verzichtet und plötzlich zur braunen Mumie wird. Das Rezept schenkt sie letztlich der jungen Krista, die es jedoch verbrennt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Ausdrucksvollen Gesang in oft extremen Lagen verlangt der Komponist: Laura Aikin als Emilia Marty alias Elina Makropulos braucht den Vergleich mit Anja Silja, die die Rolle 1993 an der Wiener Volksoper verkörpert hat oder mit Angela Denoke, die sie 2011 bei den Salzburger Festspielen sang, nicht zu scheuen. In zauberisches, weißes Licht getaucht, wickelt sie die Männer um die Finger, singt stets unangestrengt mit ungefährdeten Höhen und bestreitet souverän die Partie. Wolfgang Bankl singt den Rechtsanwalt Dr. Kolenatý mit robustem Bassbariton. Der ehemalige Verehrer Hauk-Sendorf, der mittlerweile zum skurrilen Greis geworden ist, wird von Heinz Zednik liebe- und humorvoll gespielt. Ludovit Ludha, der kurzfristig für Rainer Trost als Albert Gregor eingesprungen ist, ist der einzige Rollenerfahrene an diesem Abend und erfüllt ohne Probleme alle stimmlichen Voraussetzungen dieser Partie mit durchschlagskräftiger, tenoraler Expressivität. Markus Marquardt, der als Jaroslav Prus in den Genuss einer Liebesnacht mit Emila kommt, singt solide. Nicht ohne Charme erlebt man Carlos Osuna als dessen Sohn Janek Prus. Thomas Ebenstein als prägnanter Bürodiener Vítek bei Kolenatý erfüllt diesen mit einer gewissen Komik. Margarita Gritskova ist die fein und leicht singende Krista.

Foto © Michael Pöhn

Je älter er wurde, umso radikaler, moderner wurde Leoš Janáček. Und mit 71 Jahren komponierte der eigenwillige Komponist aus Brünn dieses Werk, das leidenschaftlicher, ekstatischer wurde als alles zuvor. Jakob Hruša am Pult des Staatsopernorchesters gibt sein heftig akklamiertes Hausdebüt. Die kleinteiligen Klangskizzen, die sich in rasender Geschwindigkeit wiederholenden Motive, die kühnen Streicherfiguren und Bläsersoli lässt der junge tschechische, energiereiche Dirigent mit höchster Intensität und einer enormen Vielschichtigkeit musizieren und bringt die Partitur besonders zum Finale prachtvoll zum Leuchten.

Das begeisterte Publikum spendete viel Applaus im sehr gut besuchten, aber nicht ausverkauften Haus.

Helmut Christian Mayer