Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Monika Rittershaus

Aktuelle Aufführungen

Psychokrimi von packender Intensität

PETER GRIMES
(Benjamin Britten)

Besuch am
20. Dezember 2015
(Premiere am 12. Dezember 2015)

 

 

Theater an der Wien

Das Holzbett hängt gefährlich an der Bühnenrampe, zum Teil schon über dem Graben, regelrecht bedrohlich für die Kontrabässe. Darin liegt schon vor Beginn Peter Grimes.Es symbolisiert offenbar den ständig drohenden Abgrund und die ständige existenzielle Grenzsituation, in der der Titelheld schwebt, und wirkt wie das Bild eines eingefrorenen Sturzes.  Dahinter befindet sich eine lange Schräge, die von schwarzen Mauern begrenzt wird. Sonst herrscht nur radikal reduzierter Minimalismus vor, wie einige Stühle, sonst nichts. Die Bühne stammt von Johannes Leiacker. Während das Meer in der Musik von Benjamin Brittens omnipräsent ist, wird es bei dieser Neuproduktion von Benjamin Brittens erster Oper, die Uraufführung fand 1945 statt, am Theater an der Wien völlig ausgespart.

Regisseur Christoph Loy entledigt sich auch sonst allen naturalistischen Beiwerks: Es gibt kein Haus, keine Kneipe, keine Boote tauchen auf. Es gibt keine Weite, aber auch keine Enge und auch keine existenzbedrohenden Seestürme, dafür aber das Schicksal des Unausweichlichen. Der Regisseur konzentriert sich auf die Figuren, auf die Mitglieder der Dorfgemeinschaft, die sich als Moralapostel aufspielen und zwischen Angst, Gehässigkeit und Bösartigkeit schwanken. Er zeigt massiv ihre kollektive Aggressivität gegen die Andersartigkeit des Außenseiters Peter Grimes. Er inszeniert die tödliche Konfrontation zwischen dem schicksalhaft schuldverstrickten Außenseiter und der mit Vorurteilen behafteten, klatschsüchtigen Gesellschaft nachvollziehbar und ungemein mitreißend. Er führt virtuos die Massen, die ständig in Bewegung sind, sich ständig neu zu gruppieren haben und manchmal an Dichte und in ihren Bewegungen einem Fischschwarm gleichen. Für Loy ist klar, dass Grimes von Anfang an homoerotisch veranlagt ist. Deswegen ist auch sein neuer Gehilfe John, der vom Tänzer Gieorgij Puchalski grandios und sehr körperlich gestaltet wird, wie sein Geliebter gezeichnet, den er immer wieder sehr grob, ja, brutal behandelt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Joseph Kaiser ist ein gestalterisch und stimmlich intensiver Titelheld, ein rauer Philosoph mit großer heldischer Attacke, ein Getriebener, der Mitleid erregt. Agneta Eichenholz als Lehrerin Ellen Orford erzeugt in ihren blühenden Lyrismen und ihrer oft liebevoll naiven Darstellung genau dieses Mitleid mit ihm. Der mit warmem Bariton singende Andrew Foster-Williams ist ein gutmütiger, herrlich warm singender, aber auch als Todesengel agierender Kapitän Balstrode. Auch sonst ist im gesamten Ensemble keine einzige Schwachstelle erkennbar. Besonders herausragend: Hanna Schwarz als stimmgewaltige Kneipenwirtin Auntie, Rosalind Plowright als opiumabhängige und herumschnüffelnde Witwe Sedley, Andreas Conrad als höhensicherer Methodist Bob Boles, Stefan Cerny als markanter Rechtsanwalt  Swallow und der junge Tobias Greenhalgh als idealer Apotheker Ned Keene. Wie gewohnt Außergewöhnliches leistet der stimmgewaltige und homogen singende Arnold-Schoenberg-Chor unter der Leitung von Erwin Ortner.

Foto © Monika Rittershaus

Wenn schon nicht auf der Bühne, erlebt man die Kraft des Sturmes und das Tosen der Wellen ganz stark im Orchester.  Auch hier geht die Musik unerträglich unter die Haut und lässt die Story zum Psychokrimi werden. Der immer äußert sensibel agierende junge Dirigent Cornelius Meister erspürt in jeder Phase den Pulsschlag dieser starken und impressionistischen Musik. Aus feingesponnenen Fassetten, aus Klängen, die aus dem Nichts zu kommen scheinen, bis zu gewaltigen Klanggewalten reicht die Palette des aufregend musizierenden ORF-Radio-Sinfonieorchester Wien. Seit 2010 Chefdirigent dieses Klangkörpers, erzeugt Meister im Orchester feinste Kolorierungen und wiederum eine nie nachlassende Spannung, die jeden mitreißt und packt.

Zum Schluss gibt es viel Jubel für eine insgesamt äußerst gelungene, erfolgreiche Produktion.

Helmut Christian Mayer