Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Alle Fotos © Werner Kmetitsch

Aktuelle Aufführungen

Im stürmischen Meer der Finsternis

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)

Besuch am
22. November 2015
(Premiere am 12. November 2015)

 

 

Theater an der Wien

Schon während der Ouvertüre taucht er mit nacktem Oberkörper auf, setzt sich zu einem Tischchen und beginnt sein Gesicht schwarz zu schminken. Und auch danach wird er viel präsent sein, immer wieder ins Geschehen eingreifen, andere beeinflussen und sogar führen. In diesem Fliegenden Holländer von Richard Wagner am Theater an der Wien verkörpert der exzellente Tänzer Pavel Strasil den Satan: Olivier Py ist im Libretto auf Grund einiger diesen erwähnenden Textstellen fündig geworden und hat die Figur in seiner Inszenierung dazu erfunden. Nicht unbedingt störend, aber auch nicht erhellend und eigentlich entbehrlich. Sieht man davon ab, dass durch seine exzessiven, tänzerischen Bewegungen und dunklen Auftritte immer wieder eine Art von zusätzlicher dämonischer Spannung entsteht.

Und auch sonst treibt der französische Regisseur dieser Neuproduktion so ziemlich jegliche Romantik, jeden Gedanken auf eine Erlösung aus. Er setzt vielmehr auf Psychoanalyse und flüchtet sich in den Surrealismus: Der Holländer ist bloß ein Mythos, eine Fantasieprojektion, eine Vision der dem Wahnsinn nahen Senta. Und er zäumt die Handlung von hinten auf. Denn schon während der Ouvertüre wird die tote Senta aufgebahrt. Dann taucht sie gehetzt auf und schreibt mit Kreide mit großen Lettern Erlösung auf die Holzwand. Diese ist Teil einer aufwändigen Holzkonstruktion, die, sich im Dauerstress drehend, verschiedenste Räume preisgibt und Senta immer wieder zu Kletterpartien zwingt: Etwa den Bug oder den Innenraum eines Schiffes, der mit sich schnell verengender Perspektive und mit punktgenau eingesetztem Licht, das durch die Zwischenräume Lichteffekte, die Bertrand Killy kreiert hat, entstehen  und so starke Bilder erscheinen lässt. Nur zweimal bekommt die Szene den Charakter eines lächerlichen Gruselkabinetts: Wenn bei der Feier Skelette von oben herabbaumeln und wenn später ein alles dominierender Totenkopf hereingedreht wird, in dessen einer Augenhöhle Senta Zuflucht sucht. Die Ausstattung stammt von Pierre-André Weitz. Die Bekleidung der Figuren ist uniform, die Männer, auch der Chor sind mit Anzügen, Mänteln und Hüten in Grautönen, die Frauen einheitlich mit schwarzen Kleidern ausgestattet.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Py weiß auch, die Beziehungen der Protagonisten zueinander deutlich zu machen, die er wie Chor und Statisten virtuos führt. Nur mit seinen symbolträchtigen Bildern und seinem Konglomerat an Ideen gibt er weniger Antworten als dass er neue Fragen aufwirft. Zum Finale entlässt Py das Publikum schließlich mit dem ebenfalls mit Kreide auf die Holzwand geschriebenen Wort Erwartung nach Hause.

Foto © Werner Kmetitsch

Gewählt wurde hier im Theater an der Wien die Pariser Urfassung aus 1841, die ohne den verklärenden Erlösungsschluss auskommt. Die zu Wagners Lebzeiten nie gespielte und erst 1983 veröffentlichte Fassung spielt nicht in Norwegen, sondern in Schottland, weshalb Daland hier Donald heißt und Erik den Namen Georg trägt. Sie ist im Gegensatz zu der, in drei Akte gegliederten Dresdner Version aus 1842 ein durchkomponierter, pausenlos gespielter Einakter.

Py hat Singschauspieler zur Verfügung, die in diesem Umfeld alles geben: Samuel Youn ist ein leidender Titelheld, mit zu wenig Dämonie gezeichnet, kann aber mit seinem kernigen, wohlklingenden Stimmorgan punkten. Lars Woldt ist ein sehr textverständlicher Donald, der hier eben nicht Daland heißt, mit kraftvollem Bariton, den er durchaus etwas reduzieren könnte. Ingela Brimberg ist eine jugendlich-hochdramatisch klingende Senta, verfügt aber auch über viele berührende Töne. Bernard Richter als Georg, statt Erik, ist mit seinem herrlichen, ausnehmend schönen Tenor eine Klasse für sich. Wunderbar hell singt Manuel Günther den Steuermann. Ann-Beth Solvang ist eine solide Mary. Mit großer Stimmkraft und Intonationssicherheit ist wieder der Arnold-Schoenberg-Chor zu vernehmen, auch hinsichtlich der Spielfreudigkeit wie immer ein Chor der Extraklasse.

Das aufgestockte Originalklangensemble Les Musicienne du Louvre unter Marc Minkowski lässt den Sturm so richtig heulen und die Wellen hoch und wild schäumend aufpeitschen. Ihr Gründer und langjähriger Chefdirigent überzieht allerdings auch schon mal die Lautstärke und lässt manchmal sogar die Präzision außer Acht, dafür ist ihm aufregendes Musizieren und aufregende Spannung wichtiger.

Am Ende herrscht großer Jubel im ausverkauften Haus.

Helmut Christian Mayer