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Politik, Liebe, Sex, Leidenschaften, Intrige, Verrat und Tod, mehr spannende Themen kann eine Oper eigentlich nicht bieten. Tosca erscheint als Gesamtpaket ideal. Die Inszenierung von Alexander Charim am Theater Trier zeigt jedoch, dass alleine dieses brauchbare Gesamtpaket nicht ausreicht; man muss es zudem würdig auf die Bühne bringen, um seine ganze Tiefe und Vielfalt zu entpacken.
Die Grundidee von Charim ist gut: Er möchte Tosca darstellen als die Frau, die sich loslöst von ihren Lieb- und Leidenschaften, notfalls auch auf brutalste Weise, um endlich eine eigenständige Persönlichkeit sein zu können. Ein Selbstfindungstrip also, soweit so gut. Der Vorhang der Bühne hebt sich, Tosca wird präsentiert als Showstar, tosender Applaus tönt vom Band, genauso wie die wenigen Sätze, die Toscas Innenwelt zusammenfassen sollen: Sie will geliebt werden, sie muss geliebt werden, aber über die Jahre hat sie den Kontakt zu sich selbst verloren. Mantrahaft wiederholt sich der letzte Satz zum Anfang der zweiten Hälfte. Tosca hat also über alle Liebesabenteuer und Eroberungen im wahrsten Sinne des Wortes „ihr Herz verloren“, den Zugang zu sich selbst eingebüßt. Ihre fortlaufende Suche nach einem Gegenüber soll eigentlich eine Suche nach bedingungsloser Liebe sein, die ihr den Weg zurück zur eigenen Mitte weisen soll. Als Regisseurin ihres Lebens ist eigentlich sie diejenige, die sich von ihren Leidenschaften verabschieden will. Sie bringt den Fächer auf die Bühne, der ihren Geliebten Mario Cavaradossi zu Fall bringen wird, und sie selbst deponiert das Messer, mit dem sie später Scarpia ersticht.
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Scarpia soll in der Inszenierung als ihr eigentliches Gegenüber auftreten: kalt, leidenschaftlich-verzehrend, besitzergreifend, aber im Innersten doch einsam. Marios Part entspricht dem der erfüllten Liebe, einer ausgereiften Persönlichkeit, der sich nicht mehr über eine Liebe zu definieren braucht, sich aber mit ganzem Herz für Tosca entschieden hat, ohne sich selbst dabei zu vergessen. Ein Zustand, den Tosca erreichen will, unter dessen Freiheitsgefühl sie aber auch gleichzeitig leidet. Rasende, ja lächerliche Eifersüchteleien sollen das zeigen. Entsprechend genervt reagiert Mario. Und hier ergibt sich bereits das Problem der Inszenierung: Die Idee ist gut, die Ausführung passt jedoch nicht. Es entstehen zu viele Lücken auf der Bühne, in denen fast minutenlang eigentlich gar nichts passiert. Diese Minuten hätte Charim gehabt, um seine Charaktere auszuformen. Stattdessen mutet es an, als hangelten sich die Sänger von einstudierter Bewegung zu einstudierter Bewegung. Scarpia wirft sich Tosca verzweifelt um den Hals, dann zählt sie die fünf Takte ab, bevor sie ihn entrüstet von sich stößt. Den Sängern fehlt sichtbar eine Motivation für ihre Aktionen. Was auch an der Ausstattung von Ivan Bazak und Tal Shacham liegen mag. Die Bühne ist bis auf einen Overheadprojektor und drei weiße Tische sowie zwei Stühle leer, wieder mal begrenzen halbtransparente Wände den Bühnenraum. Da kommt einfach kein Flair auf. Der Moment, in dem Mario von den zwei Handlangern Scarpias in die Folterkammer gebracht werden soll und sie ihn hierfür hinter zwei zusammengeschobenen Tischen verstecken, wirkt fast kindisch verspielt.
Die Kostüme von Tal Shacham sind wenig körperschmeichelnd, ganz im Gegenteil sogar. Yannick-Muriel Noah kann sich in den hautengen Kostümen kaum bewegen, das Klettern auf Tische, was katzenhaft und sexy aussehen soll, fällt ihr schwer und wirkt wenig grazil. Nach einer Kletterpartie wird regelmäßig am Rockzipfel gezuppelt, was den Zuschauer selbst nach der schönsten Arie und dem emotionalsten Moment, zum Beispiel dem, in dem sie Scarpia ersticht, aus der Stimmung reißt. Christian Sist, der fast doppelt so groß ist wie Noah, wirkt durch den grünen Karoanzug, mit überdimensional langem Sakko noch riesenhafter. Auch hier erkennt man die Idee: Shacham will aus den Charakteren mittels Kostüm überspitzte Figuren entstehen lassen. Das funktioniert aber nur beim Hirtenjungen, Fritz Spengler, der in seinem Schuljunge-auf-Ausflug-Kostüm wunderbar überzogen wirkt. Überhaupt gelingt die Umsetzung der Nebenfiguren deutlich besser. Rainer Scheerers Transformation vom Kirchentreudoofen zum Folterer mit gegeltem Seitenscheitel und Oberlippenbärtchen ist erschreckend und Bonko Karadjovs Umkehr vom Folterer zum Nervenwrack ebenso. László Lukács spielt als Angellotti seinen Kollegen sicher zu. Bei den Hauptfiguren gehen die Motivationen unter: Marco Jentzsch als Mario kauft man die Verehrung der Tosca nicht ab, Scarpias Handlanger erscheinen gefährlicher und unberechenbarer als Scarpia selbst, Toscas Selbstfindung kann man aus dem Programmheft besser herauslesen – das retten auch die wackligen Videoprojektionen nicht.
Stimmlich kann man den Sängern wenig vorwerfen. Die Kanadierin Noah singt souverän und fest, mit einem farbenreichen, lyrisch wohlgeformten Sopran. Marco Jentzsch als Mario braucht ein wenig um in die Rolle zu finden, bekommt für seinen klaren, unverbrauchten Tenor aber besonderen Applaus. Christian Sists Scarpia ist fehlerlos, aber gerade dadurch auf Dauer etwas farblos und eintönig. Eine rundum gelungene, stimmliche Darbietung aller Beteiligten, die allerdings genauso wie die Inszenierung etwas Herz und Feuer vertragen könnte. Die Partien sind mit viel Können gesungen, durch und durch wunderbar, aber berührend werden sie nur selten. Schließt man die Augen, klingt es fast wie vom Blatt gesungen, es fehlt die emotionale Tiefe, die mit der Inszenierung kommen sollte. Die Nebenfiguren sind gesanglich durchweg solide, nur Rainer Scheerers Bass als Mesner, Sciarrone und Schließer ist manchmal etwas leise. Herausstechend ist der unverwandte, überraschende Auftritt von Countertenor Fritz Spengler als übergroßer Hirtenjunge, der fast verstörend surreal wirkt. Der Auftritt des Chors ist kurz, zwar gelungen, aber bleibt nicht im Gedächtnis.
Das Orchester unter der Leitung von Generalintendant Victor Puhl spielt reibungslos, verstärkt den Effekt, sich ganz auf die Musik einzulassen und trägt die Inszenierung am Publikum vorbei. Auch hier eine sichere, ausgereifte, gutsitzende Ausarbeitung, was fehlt ist ein Fünkchen des Besonderen, einzigartigen, das man nur in diesem Theaterabend finden sollte.
Das Publikum reagiert mit mechanischem Applaus, der ebenso einstudiert wirkt.
Stefanie Braun