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DIE AUSFLÜGE DES HERRN BROUCEK
(Leoš Janácek)
Besuch am
6. Mai 2016
(Premiere am 30. April 2016)
Was passiert mit einem Menschen ohne höhere Empfindungen und geistige Regungen, wenn er aus seinem gewohnten Lebensumfeld heraus gezogen wird? In Leoš Janáceks selten gespielter Oper Die Ausflüge des Herrn Broucek geht es um einen solchen Menschen: Matthias Broucek ist ein bierbäuchiger Hausbesitzer, der den Frust über seine nicht zahlungsfähigen Mieter allabendlich im Wirtshaus mit reichlich Bier und Knackwürsten zu ersticken versucht. Dabei schimpft er fleißig über Banken und Zeitungen und natürlich über Politiker. Eines Abends träumt er sich im Suff in neue ferne Welten, und seine ganz persönliche wilde Reise durch die Nacht beginnt. Zuerst verschlägt es ihn auf den Mond und dann ins mittelalterliche Prag, das vom Hussitenkrieg bedroht wird.
Gleich zu Beginn jedoch eine schlechte Nachricht: Talia Or, die die Rollen der Málinka, Etherea und Kunka singt, hat sich am Nachmittag der Aufführung schwer krank gemeldet. Eingesprungen sind im Gesangspart die Frankfurter Sängerin Juanita Lascarro, auf der darstellerischen Seite musste die Regieassistenin der Inszenierung, Ulla Wentenschuh, einspringen.
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Die Inszenierung von Jasmina Hadziahmetovic geht eine nahtlose, für beide Seiten gewinnbringende Symbiose mit der sperrigen Musik Janáceks ein. Zwar nicht ungefällig für die Ohren, wirkt die Komposition im ersten Moment zerlegt, etwas unzugänglich und unzusammenhängend. Neben der Inszenierung tritt sie wohlwollend in den Hintergrund und lässt den Ideen der Regisseurin den Vortritt. Die verlegt Broucek auf einen Mond, der eine Mischung aus Peterchens Mondfahrt und Senecas Philosophenkreisel darstellt. Nachdem Broucek sich seines immensen Körpervolumens in Form eines Fatsuits entledigt hat und im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Drittel seines Körpergewichts auf dem Mond spaziert, begegnet er lauter weißgewandeten, bärtigen Kuttenträgern. In den zartbesaiteten Künstlertypen erkennt man eine zeitlose Parodie auf jene handlungsunfähigen Schöngeister, die lieber reden und träumen, als schaffen und anpacken. Oder in Brouceks Fall lieber am Goldstaub schnuppen, als in die Knackwurst zu beißen. Was auch zur letztendlichen Entfremdung Brouceks und der Mond-Dichter führt. Ähnlich ergeht es Broucek im finsteren Mittelalter. Hier trifft er auf eine gottesfürchtige und gleichzeitig kampfeshungrige Gesellschaft, in der Ehre und ruhmvolles Handeln das A und O sind. Broucek jedoch versucht, um sein Leben zu retten, sogar die Verbrüderung mit dem Feind auf dem Schlachtfeld. Schnell wird klar, Broucek ist ein Mensch ohne höhere geistige Ideale, ohne tiefgehende moralische Vorstellungen und ohne konfliktträchtige Lebensvorstellungen. Seine Freuden lassen sich auf Biertrinken, Knackwürste essen und ab und an einem jungen Mädchen in den Hintern kneifen beschränken.
Was passiert mit einem solchen Menschen, wenn er sich aus seiner kleingeistigen Umgebung herausträumt? Er kann und will sich nicht anpassen, eckt an und wird schließlich in mehr oder weniger beiderseitigem Einverständnis aus der erträumten Gemeinschaft ausgeschlossen. Im besten Fall bleibt es bei einem schlechten Traum. Hadziahmetovic arbeitet handfest an ihrem Broucek, versucht dabei gar nicht, ihn zu überhöhen oder symbolhaft aufzuwerten, sondern belässt den Zuschauer darin, einfach Zeuge seiner nächtlichen Reise zu werden.
Die Ausstattung von Paul Zöller und Valentin Köhler unterstützt Hadziahmetovic in ihrer Idee: Die Mondmänner wirken mit den Rauschebärten und Ausdruckstänzen märchenhaft und gewollt blödsinnig zugleich, ganz im Gegensatz zu der schmutzigen und rauen Welt des Mittelalters. Die Regisseurin bedient sich eines galanten Tricks, um zwischen den beiden Traumsequenzen zu wechseln. Das Bühnenbild, bestehend aus Brouceks kleinem Häuschen, wird darin zum Angelpunkt. Während Brouceks Mondreise schwebt sein Heim über der Bühne, während des zweiten Aktes wird dafür der Bühnenteil heraufgezogen, man sieht den Lattenzaun unter der Bühne wurzeln. Die Ritter kommen sprichwörtlich aus einer tieferliegenden Ebene.
Johannes Preissinger gibt einen klaren, überdeutlichen Broucek, der allerdings noch hörbarer mit der sperrigen deutschen Übersetzung kämpft als seine Kollegen. Aldi di Toro, der Mazal, Sternenfried und Peter überzeugend spielt, singt einen kraftvollen Tenor, seine Ersatzpartnerin Juanita Lascarro, die in tschechischer Sprache singt, überzeugt mit einem wunderschönen, warm ausgeformten Sopran. Ein im wahrsten Sinne besonderer Anblick ist Fritz Spengler als properer Engel mit Drag-Queen-Make-Up, dessen brillanter Counter-Tenor dem ganzen erst recht einen traumhaften Anstrich verleiht.
Der Chor unter der Leitung von Angela Händel braucht einige Anläufe in seinen Parts, um in ein Zusammenspiel zu kommen, erreicht er es, ist das Ergebnis zufriedenstellend.
Schön ist, dass das Orchester unter der Leitung von Victor Puhl von Beginn an ein rundes Ergebnis liefert, fehlt es am Anfang noch an Schwung, spielt es sich schnell und dauerhaft ein.
Das Publikum reagiert mit zufriedenem Applaus.
Stefanie Braun