Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Otto Klappert

Aktuelle Aufführungen

Taumelnde Nymphe

ORPHEUS & EURYDIKE
(Christoph Willibald Gluck)

Besuch am
23. Juni 2016
(Premiere)

 

Oper in Starnberg,
Schlossberghalle Starnberg

Bereits im dritten Jahr leistet sich Starnberg mit vereinten Kräften eine Oper als eigene Sommerproduktion der Gemeinde. Dreh- und Angelpunkt sind dabei das Vokalensemble Fünfseenland und dessen Leiter Andreas Sczygiol. Nach zwei Choropern beschreitet man nun neue Wege mit der Entscheidung für Glucks komplexes Werk Orpheus und Eurydike in historischer Aufführungspraxis. Die renovierte Pariser Fassung wird gegeben und durch Gastsolisten für Starnberg produziert. Der Projektchor tritt dabei spielerisch deutlich zurück, wodurch sich die Frage aufwirft, inwiefern das noch Oper aus Starnberg oder eher für Starnberg ist.

Choreografin und Tänzerin Ada Ramzews inszeniert die durchwegs puristische Produktion. Es gibt kein Bühnenbild, dezente Kostüme, drei Solisten und den sanft genutzten Chor, der geteilt konzertant mit dem Orchester auf der Hinterbühne und als kleine Gruppe in die Handlung eingreift. Erinnert man sich an die Spielfreude und den Enthusiasmus der Laiensänger, als sie beispielsweise beim letztjährigen Bajazzo italienisches Landvolk mimten, Freude am Szenischen zeigten und gute Stimmung verbreiteten, so überrascht diese Entscheidung. Den Platz der Choristen übernehmen Tänzer der Benedict-Manniegel-Company aus München. Zehn fast durchweg asiatische Nymphen und Dämonen wirken stilbildend für die indigen handlungsarme Liebesgeschichte zwischen Orpheus und seiner Eurydice. Auch das hohe Paar wird durch zwei Tänzer gedoppelt, die prologisch und teils simultan die Handlung gestalten.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Ein Fest für Tanzfreunde ist das. Das moderne, dennoch konventionelle Schrittmaterial erzeugt eine ätherische Wirkung, etwa bei Eurydikes Aufnahme in den Kreis der Seligen. Die Synchronizität der Damen wäre an manch größerem Haus wünschenswert. Schon zu Beginn zeigt Martina Wimmer im Vorspiel den Tod der Nymphe mit gefühlvollen, zurücknehmenden, fließenden Bewegungen zur eingespielten Pianovariante von Gluck. Da taumelt eine Schönheit mit viel Armarbeit und wenig Plié. Diese Momente gelingen eher als die teils unnötige Doppelung mit den Sängern, die Unruhe erzeugen, die Darsteller teils zu konzertanten Statisten degradiert und deren vorhandenes szenisches Potenzial übergeht. Das stilbildende Moment nämlich rettet die Problematik Glucks nicht. Die melodiösen, dahinschwebenden Arien und Duette stehen einer in zwei Sätzen erzählten Handlung gegenüber. Das notwendig eingeschriebene Happyend poltert schnell daher, der Rest ist viel Lamento. Das erzählt Ramzews nicht, verlässt sich auf ihre Company und breitet oft inhaltsleere, wenngleich ästhetisch hochwertige Choreografien lange aus. Dynamik oder Abwechslung hilft das nicht.

Foto © Otto Klappert

Bleiben die Stimmen. Ein Quantensprung gelingt im Vergleich zum Vorjahr im Tenorfach. Der italienisch-französische Sänger Eric Vivion-Grandi sprang kurzfristig ein, seine Darstellung leidet darunter nicht. Ehrlich, nicht überzogen gibt er das pathetische Liebesleid des Künstlers, zeigt seinen Schmerz, rührt. Stimmlich gibt er viel, überzeugt vor allem bei niedriger Oktanzahl, bei seinen Ausbrüchen zu wenig fokussiert, eine klarere Diktion wäre gerade von einem Landsmann des lyrischen Librettos wünschenswert. Besser gelingt das Martyna Cymerman als ebenfalls szenisch unterforderte Eurydike. Liedhaft, wohlgeführt, teils sehr schlank trifft sie Glucks Soprantöne ausdrucksstark und nie anbiedernd. Farbiger noch klingt der vollmundige Mezzo von Agata Kornaga als Amour, deren schöne Mittellage Lust auf einen Octavian macht. Szenisch schwebt sie ebenso verloren durch die Handlung und schlängelt sich durch die Tänzer. Eine große Bühne bekommt dafür Benjamin Birkner als Tanzdouble für Orpheus. Geschmeidig, präzise und ausdrucksstark liefert er trotz hochsommerlicher Temperaturen unter den Wärmelampen eine stimmige Ballettvariante der Rolle.

Ebenso stimmig und hörbar noch im Mozart-Requiem verwurzelt, gelingt dem ergänzten Projektchor große Tragik. Die Lamenti über die taumelnde Nymphe, der Liebespreis, die zu seltenen Auftritte als unterstützende, wärmende Masse zeigen erneut musikalisches Können, szenische Lust und die Vielseitigkeit dieses Ensembles, das Sczygiol mit einem eigens zusammengefundenen Orchester stimmig leitet. Trotz undankbarer Position hinter der Szene hat er seinen Chor, die motivierten Musiker und seine Sänger im Griff. Das brave Inferno Glucks klingt temperamentvoll, Eurydikes Requiem in wundervollem Moll und Orpheus‘ berühmte Verlust-Arie in enger Konversation zwischen Sänger und Orchester.

Die dem Wetter geschuldete nicht volle Halle ist begeistert. Ein Wermutstropfen bleibt, dass diese Herkulesaufgabe nach nur zwei Vorstellungen bereits wieder verklingt, vielleicht bleibt dann etwas Zeit, um dieses notwendige und gelungene Opernprojekt wieder nach und aus Starnberg heraus zu gestalten, vielleicht sollte man sich wie Orpheus dazu umschauen.

Andreas M. Bräu