Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Silke Winkler

Aktuelle Aufführungen

Die Weite Ägyptens

AIDA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
8. Juli 2016
(Premiere)

 

 

Schlossfestspiele Schwerin

Endlich! Regen über Ägypten, seit langem erwartet! – Von wegen, bis eine halbe Stunde vor Premierenbeginn lassen immer wieder dicke Regenschauer Festspielplaner, Mitwirkende und Zuschauer bangen – Regen oder nicht Regen, das ist die Frage!

Aber offensichtlich nicht: In herrlich unterkühltem, hanseatischem Humor tragen die bereit gehaltenen Ganz-Körper-Regenumhänge die Aufschrift „Das Beste vom Norden!“, Künstler und Helfer laufen geschäftig vor und hinter der großen Freilichtbühne im Alten Garten umher, als wäre es selbstverständlich, dass Aida gespielt wird. Und in den Kartenbedingungen heißt es tatsächlich: „… und gegebenenfalls bei Regen gespielt wird.“ Die Zuschauer sind bestens vorbereitet und gerüstet, als seien sie auf dem Weg in einen Campingurlaub, bis hin zur Thermosflasche mit heißem Kaffee oder anderen wärmenden Getränken. Die Leiterin des Kassen- und Besucherdienstes kennt sich aus: „Die Zuschauer … kommen bei jedem Wetter!“

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Zwei große, stilisierte Dreiecke im Alten Garten direkt vor dem Theater deuten den Fuß einer Pyramide an, eine Säulenreihe führt in das im Hintergrund liegende Palastgebäude, und Romaine Fauchére nutzt geschickt die klassizistische Silhouette des Staatlichen Museums, um die königlichen Gemächer anzudeuten. Mit den ersten leisen, flirrenden Tönen der Ouvertüre tritt eine Gestalt in beigefarbener Soldatenuniform auf die Bühne, Radames, der sich ausgerechnet in die Sklavin Aida verliebt hat. Beide Figuren markieren die Liebe als das große Thema der Oper.

Foto © Silke Winkler

Die heutiger Zeit entstammenden Uniformen der Palastwachen erinnern mal an Soldaten afrikanisch-arabischer Herkunft, in anderen Szenen trägt der Chor weiß-bunte Gewänder, die wir ägyptischen Palastwachen oder Dienern zuschreiben. Bei einigen Palastszenen scheut Fauchère sich nicht, den Zuschauern einen Zeitenmix zuzumuten. Da tauchen Fräcke und Ballkleider der zwanziger Jahre in der Gesellschaft auf, im Untergrund des Gefangenentraktes erinnert orangefarbene Kleidung an die Bilder rechtlos Eingekerkerter auf Guantanamo, die blauweißen Überwürfe der Chordamen rufen Erinnerungen an die Pharaonenzeit wach. Überraschend ist dabei, dass dieser Stil- und Epochenmix keineswegs stört.

Alle tragenden Rollen sind darstellerisch und stimmlich bestens, häufig mit Gästen besetzt. Der zum Ensemble gehörende Tenor Steffen Schantz überzeugt als liebender Radames ebenso wie als kämpferischer Armeeführer. Yannick-Muriel Noah spielt die Aida mit großer Intensität und Emotion. Ihr nuancenreicher Sopran gibt der Aida berührende Verzweiflungsszenen ebenso wie verhaltene Liebesschwüre oder wild empörte Zornausbrüche. Als Rivalin steht ihr die Pharaonentochter Amneris gegenüber, die Aurore Ugolin mit kühlem Mezzosopran distanziert spielt. Mit voluminösem Bass stellt Ziayn Atfeh den stimmlich wie darstellerisch gewichtigen Priester Ramphis dar, ebenso überzeugend bringt Krum Galabov den als Geisel gehaltenen Amonasro. Stamatia Gerothanasi gibt der Priesterin eine herrisch-gebieterische Ausstrahlung und setzt ihren Sopran scharf und akzentuiert ein. Als geschickt erweist sich die Gestaltung der Auftritte des Königs, den Sebastian Krogge weitgehend aus dem Hintergrund als großformatige Videoeinspielung präsentiert. So bleibt die Figur des Königs geheimnisvoll, aber doch mit mächtiger Stimme präsent. Auf der großen Fläche der Bühne zwischen den Pyramidenfüßen stellt sich bald ein Eindruck der Weite und Großzügigkeit des Palastes ein, den Georg Rootering und Andrea Danae Kingston geschickt choreografisch nutzen.

Ein tragendes Element der Oper sind die Chorpartien, die dieser Oper den Beinamen „Choroper“ einbringen. Das wird vor allem gegen Ende des zweiten Aktes deutlich, wenn große Chorpartien die Dramatik der Handlung stützen und steigern. Ein musikalisches Glanzstück ist der bekannte Triumphmarsch, bei dem auch die speziellen Fanfarentrompeten gespielt werden. Die lebende Elefantendame Mala und zwei Kamele unterstreichen den Triumph, der die Fertigstellung des Suezkanals 1870 in Kairo für Ägypten bedeutet. Der Platz vor der Pyramide bietet hervorragenden Raum, diese Zutaten wirkungsvoll zu präsentieren. Auch wenn Rootering und Fauchère auf große Gesten nicht ganz verzichten, hüten sich beide davor, diese Aida in eine pompöse Ägypten-Revue zu verwandeln. So bleiben viele Passagen thematisch authentisch.

Auch wenn Gregor Rot und die Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin sich ins dunkle Verlies unter der Bühne zurückziehen müssen, ihr Klang ist stets präsent.  Eine ausgefeilte elektronische Technik sorgt selbst unter den häufig widrigen Bedingungen einer Open-Air-Aufführung für eine überraschend gute Klangqualität, die auch für die Solopartien gilt. Nach zwei kurzen Schauern in der ersten Hälfte des Abends verzichten die Wettergötter Ra und Baál auf weitere Überraschungen, das Rascheln der Umhänge bleibt aus.

Was macht Freiluft-Aufführungen, Freilichttheater – von Schwerin bis Emmendingen, von Bad Segeberg bis Donauwörth – so anziehend, so beliebt bei Kindern, Großeltern und Theaterenthusiasten? Abgesehen vom Urlaubsflair, dem sich mancher Besucher schon gern hingibt, ist es wohl die unmittelbare Nähe mit, die Verbindung zur Natur und ihren Elementen. Auch die Aida-Aufführung im Schlossgarten von Schwerin profitiert davon: Fast unmerklich stellt sich im Verlauf der Aufführung ein Gefühl ein, aus der alltäglichen Umgebung entrückt zu sein. Das langsame Entschwinden des Tageslichts, die schattenhaften Gebäude im Hintergrund, die gefühlte Nähe der Personen trotz der Weite der Spielfläche geben dem Zuschauer langsam, aber zunehmend das Gefühl, in eine andere Welt gezogen zu werden – vielleicht Ägypten?

Ein begeistertes Publikum nimmt sich viel Zeit für einen vehementen Schlussapplaus, ein schöner, verdienter Vorschuss auf die kommenden Vorstellungen.

Horst Dichanz