Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Silvia Lelli

Aktuelle Aufführungen

Marias Jugendtraum

WEST SIDE STORY
(Leonard Bernstein)

Besuch am
20. August 2016
(Premiere am 13. Mai 2016)

 

Salzburger Festspiele,
Großes Festspielhaus

Schon zu Pfingsten hat sich Cecilia Bartoli ihren Jugendtraum erfüllt und die Maria in Leonhard Bernsteins West Side Story gesungen. Nun wurde diese erfolgreiche und auch jetzt im Sommer völlig ausverkaufte Produktion von den Salzburger Sommerfestspielen übernommen. Bartoli, die auch Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele ist, zählt in ihrem Fach zu den besten und eindringlichsten Sängerinnen. Auch die Maria singt sie klar, höhensicher, blitzsauber und wunderbar innig, denn sie hat sich wieder einmal mit Haut und Haaren einer neuen Rolle verschrieben. Nur legt sie die Partie viel zu opernhaft an, ihre Stimme wirkt zu schwer, ihr Vibrato ist dafür zu stark.

Auch die Inszenierung des Broadway-erfahrenen Regisseurs Philip Wm. McKinley ist ganz auf sie zugeschnitten. Es gibt zwei Marias: die eine, die ältere, die sie selbst verkörpert und die alles singt, inklusive den Ohrwurm Somewhere, die aber ansonsten nur omnipräsente und mitleidende Beobachterin der Geschichte ist, an die sie sich zwanzig Jahre später in Rückblenden zurückerinnert. Und eine jüngere, der eigentliche Teenager, die famose, sehr berührend und zerbrechlich wirkende Michelle Veintimilla, die ausschließlich spielt. Und so wirkt die Anwesenheit der älteren Maria, wenn sie nicht gerade singt, meist etwas verloren. Dieser Kunstgriff soll aber auch in erster Linie offensichtlich verhindern, dass die 50-Jährige eine Teenagerin spielen muss, und andererseits ermöglichen, dass eine ständige Anwesenheit ihrerseits gegeben ist.  Insgesamt wirkt das nicht besonders schlüssig und zwingend.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die West Side Story, aus den 1950-er Jahren, eine moderne Version des auf Shakespeare zurückgehenden Romeo-und-Julia-Dramas, ist heute aktueller denn je: Rassenkonflikte, Bandenkriminalität haben ebenso zugenommen wie das Aggressionspotenzial bei Jugendlichen. Was die meist sehr flotte, packende und teils recht drastisch ausgeführte Salzburger Inszenierung allerdings beeinträchtigt, sind die ausufernden Dialoge in einem schwer verständlichen Amerikanisch-Englisch, die speziell im ersten Teil zu einem gewaltigen Spannungsabfall führen und etlicher Striche bedurft hätten.

Foto © Silvia Lelli

Aufwändig ist die Ausstattung in der Felsenreitschule mit einem mehrstöckigen Stahlgerüst, die Bühne hat George Tsypin erdacht, dessen mit Graffiti besprühte Vorderseite sich öffnen und schließen kann und das den Blick auf mehrere Zimmer, den Spielstätten wie dem Brautsalon, einem Drugstore freigibt.

Besser als Bartoli kann Norman Reinhardt als schon sehr erwachsener Tony seine Opernstimme zügeln. Er singt und spielt ihn eindringlich mit lyrisch-expressivem Tenor. Karen Olivo als bühnenpräsente Anita ist eine Klasse für sich: da passt jede Geste, ihr Gesang ist ungemein pointiert. Besonders hervorzuheben sind noch George Akram als Bernardo und Dan Burton als Riff. Dem übrigen Ensemble, darunter die verfeindeten amerikanischen Jets und die puertoricanischen Sharks, ist im Großen und Ganzen ein Pauschallob zu zollen. Es ist exzellent besetzt und tanzt in der Choreografie von Liam Steel mitreißend. Da kommt richtiges Broadway-Feeling auf.

Und dafür sorgt man auch im Graben. Tonight, Maria oder America: Nicht nur diese Hits werden von Gustavo Dudamel am Pult des Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela mit Latino-Verve, Klangfrische und Intensität interpretiert. Es wird auch demonstriert, welche jazzige Kraft und swingenden Elemente in dem Werk stecken.

Zum Finale wählt Maria, nachdem sie den Tod des Geliebten nochmals durchleben musste, den Freitod hoch oben auf den U-Bahn-Gleisen, um mit ihm wenigstens im Jenseits vereint zu sein. Jetzt wissen wir es: Dort ist Somewhere.

Die Wiederaufnahme wird nach jeder Nummer mit lautem Jubel unterbrochen. Zum Finale gibt es frenetischen Applaus und schließlich standing ovations.

Helmut Christian Mayer