Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Leo Seidel

Aktuelle Aufführungen

Tragisch-unterkühlte Liebe

TOSCA
(Giacomo Puccini)

Besuch am
5. August 2016
(Premiere)

 

Kammeroper Schloss Rheinsberg,
Heckentheater

Zu gerne wären viele Herrscher im Europa des 19. Jahrhunderts selbst ein Sonnenkönig gewesen, zu gern hätten sie das kleinste Fürstentum mit einem ausschweifenden und den schönen Künsten zugewandten Hofleben geschmückt, zu gern hätten auch sie sich neben ihrer Frau Gemahlin anderen Verführungen gewidmet. Da macht Prinz Heinrich I von Preußen in der beschaulichen Provinz des brandenburgischen Rheinsberg keine Ausnahme. Und so verdanken die Rheinsberger seinen Wünschen ihr klassizistisches Schloss und einen herrlichen Park, der in den 1970-er Jahren neu angelegt und seit 1991 von der Kammeroper Rheinsberg bespielt wird. Prinz Heinrich machte aus seiner Residenz in Rheinsberg „einen bedeutenden Musenhof“. Im Park nahe der Schlossinsel ließ er „ein Heckentheater zur Aufführung von Theaterstücken, Opern und Konzerten“ anlegen – zur Freude der Rheinsberger, der Berliner und vieler Sommerbesucher der sie umgebenden brandenburgischen Sandbüchse und der mecklenburgischen Seenplatte.

Frank Matthus, künstlerischer Direktor und Sohn des rührigen langjährigen Direktors Siegfried Matthus, hat dem Publikum eine Trilogie großer Opern versprochen, von denen er in diesem Jahr Puccinis Tosca auf die Heckenbühne bringt. Auch wenn die dunkle Heckenbühne inmitten eines barocken Gartens und der sie überragenden riesigen Baumbestände wenig mit dem Rom des 17. und 18. Jahrhunderts gemein hat, eignet sich diese Kulisse vorzüglich für eine romantische Oper mit bewegender Musik. Solche im Barock durchaus beliebten  Heckentheater verbinden in kunstvollen Parks Naturerlebnis und Kunstgenuss. Da kann sich das Bühnenbild mit wenigen, äußerst knappen Andeutungen begnügen, da haben die Kostüme, ein wenig historisierend stilisiert, mit ihren Farben mehr Gewicht. Im Vordergrund stehen die Solisten und ihre Musik. Dem stets nass drohenden Himmel muss das Orchester Tribut zollen, es wird in ein sicheres Zelt hinter die Bühne verbannt, ein Kompromiss, der den Hörgenuss deutlich beeinträchtigt. Insgesamt wirken die Orchesterklänge verhalten, Dynamik und Tempi kommen nur begrenzt bei den Zuschauern an.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Dass bei einer solch offenen Bühne Sängerinnen und Sänger elektronisch verstärkt auftreten, ist fast unvermeidlich. Solisten und Tontechniker brauchen einige Zeit, um Stimmen und Elektronik aufeinander abzustimmen. Erst dann können die Zuhörer die Ausdrucksstärke des Tenors J.Warren Mitchell in der Rolle des Malers Cavaradossi ganz erfassen und sich an Yulia Yurenkovas hellem, immer kräftiger und expressiver werdenden Sopran erfreuen. Ilya Lapisch überzeugt in der Rolle des Angelotti und Jared Ice als Polizeichef Scarpia beherrscht mit vollem, sehr präsentem Bariton die Szene. Als quicklebendiger Mesner bringt Christopher Holman Bewegung auf die Bühne. Der zahlenmäßig kleine Chor zeigt sich bestens präpariert, die von Gordon Gerrard geleiteten Brandenburger Symphoniker halten sich klanglich eher zurück. Hier wünscht sich mancher Zuhörer mehr Dynamik und Akzente.

Foto © Leo Seidel

Die höfischen Intrigen spitzen sich bald zu und kosten schließlich Cavaradossi, den Geliebten der Tosca, zunächst vermeintlich, dann aber endgültig das Leben. Auch Tosca sieht nun keinen Sinn mehr in ihrem Leben und stürzt sich von den Burgmauern, hinter denen ihr Geliebter heimtückisch „versehentlich“ ermordet wird. Die schwarzen Gestalten der Burgsoldaten bilden ein drohendes Schlussbild.

Brian Deedricks Inszenierung nutzt die Möglichkeiten des Naturtheaters in Rheinberg geschickt, das Ambiente bietet ihm viele Variationsmöglichkeiten für die Bühnenchoreografie. Nach einem unterkühlten, eher steifen ersten Akt können sich Solisten, Chor und Orchester allmählich steigern, die Aufführung gewinnt an Spannung und Dramatik. Die hereinbrechende Dunkelheit trägt zu einer immer bedrohlicheren Stimmung bei, die von der Bühne aus die Zuschauer ergreift. Das Ambiente des Heckentheaters verleiht auch dieser Aufführung einen besonderen und die Zuschauer begeisternden Zauber, der bestens zu Puccinis romantischer Musik passt. Das fachkundige Premierenpublikum bestätigt das gern mit langanhaltendem Beifall.

Horst Dichanz