Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Foto © Magdalena Ośko

Aktuelle Aufführungen

Vollendete Töne und ästhetische Eleganz

JENŬFA
(Leoš Janáček)

Besuch am
26. Februar 2016
(Premiere)

 

 

Teatr Wielki Poznań

Regisseur Alvis Hermanis hält nicht viel von modernem Regietheater. Er hält auch nicht viel von der deutschen Flüchtlingspolitik, derentwegen er in Hamburg ein Theaterprojekt absagte. Seine radikale Haltung brachte ihm große Schelte im deutschen Feuilleton ein. Mehr Ablehnung als Zustimmung erfuhren auch seine letzten künstlerischen Arbeiten, Fausts Verdammnis in Paris und Verdis I due Foscari in Mailand. Vor zwei Jahren hingegen, bei Janaceks Jenŭfa in Brüssel, reagierten die meisten Kritiker noch hymnisch auf Hermanis‘ Inszenierungsstil. Zu Recht, wie die Wiederaufnahme dieser Regiearbeit im Teatr Wielki in Poznań belegt, wo die Produktion nach einem Zwischenstopp in Bologna angekommen ist.

Hermanis‘ Jenŭfa ist nicht nur ein Fest für die Augen, sondern zugleich auch subtiles Musikdrama. Eine Bilderwelt voller Anspielungen auf mährische Folklore und Natur beherrscht den ersten und dritten Akt. Der Vorhang, der sich nur bei den Chorauftritten öffnet und dann eine hoch aufragende Treppe freigibt, verdeckt die obere Etage der dreigeteilten Bühne. In seiner Mitte dreht sich ein großer Kreis mit Blütenmustern, einem Mühlrad gleich. Wechselnde Projektionen, inspiriert vom Jugendstilmaler Alfons Mucha, blenden dörfliches Leben und bukolische Landschaften ein und erzeugen eine stimmige Atmosphäre. Auf der schmalen mittleren Ebene bilden Ballerinen in traditioneller Kleidung eine Reihe und übersetzen die Musik in Ausdruckstanz und theatralische Posen. Vorne hingegen agieren die Solisten minimalistisch und mit stilisierten Bewegungen. Sie tragen üppige, mit vielen Details geschneiderte und bestickte Volkstrachten, dazu prächtige Kopfbedeckungen. Jedes von diesen von Anna Watkins entworfenen Kostümen ist ein Hingucker.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Unvermutet naturalistisch und beklemmend intensiv inszeniert Hermanis hingegen den Mittelakt. Er lässt ihn in einer hyperrealistisch trist eingerichteten Wohnküche spielen. Das schäbige Bett, die schlichte Kleidung von Jenŭfa und der Küsterin, der laufende Fernseher verdeutlichen die Tristesse, in der die beiden Frauen leben. Sensibel arbeitet Hermanis heraus, wie sich die soziale Misere zuspitzt und in dem Kindsmord kulminiert. Bezug zu den Eck-Akten stellen die Tänzerinnen her. Während Jenŭfa nichtsahnend ihr Wiegenlied singt, tauchen sie hinter den Fenstern wieder auf und reichen den toten Säugling an die jeweils nächste weiter. Das Finale, nun wieder in Ausstattungspracht wie zu Beginn, verspricht dem Paar nach all dem Leid eine gute Zukunft. Denn auf dem Vorhang entfaltet sich allmählich ein blühender Rosenstock.  

Foto © Magdalena Ośko

In großer Geschlossenheit präsentieren sich Solisten, Chor und Orchester des Teatr Wielki. Sie werden geleitet von GMD Gabriel Chmura, der Janáčeks Seelenmusik mit viel Passion und Gefühl dirigiert. Dominiert wird das Ensemble von Barbara Kubiak. Sie verkörpert eine Küsterin von geradezu archaischer Wucht, die kraftvoll ihre Verzweiflung herausschleudert. Monika Mych-Nowicka singt die Titelpartie mit leuchtendem Sopran und anrührender Intensität. Die beiden um Jenŭfas Gunst konkurrierenden Brüder sind mit den Tenören Rafał Bartmiński und Piotr Friebe stimmlich gleichwertig besetzt.

Starker, aber nur kurzer Beifall im nicht ausverkauften Teatr Wieki. Jenŭfa scheint für viele Opernbesucher in Poznań noch ein Wagnis zu sein. Dabei wäre die eindringliche, ästhetisch faszinierende Neuinszenierung dazu angetan, ein größeres Publikum zu einem Besuch zu animieren.

Karin Coper