Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Foto © Jutta Missbach

Aktuelle Aufführungen

Fränkisches Rössl mit Berliner Schnauze

IM WEIßEN RÖSSL
(Ralph Benatzky)

Besuch am
9. Juli 2016
(Premiere am 2. März 2013)

 

 

Staatstheater Nürnberg

Das Weiße Rössl am Wolfgangsee, Synonym für alpenländischen Charme, für spritzige Melodien und großes Gefühl, lässt das Publikum für gut drei Stunden tatsächlich alle großen und kleinen Sorgen vergessen. Man fühlt mit dem Zahlkellner Leopold, der mit allen Tricks und Finten um die Liebe seiner angebeteten Rössl-Wirtin kämpft. Man leidet etwas mit der Wirtin Josepha Vogelhuber, die ihrerseits unglücklich in den smarten Rechtsanwalt Dr. Siedler verliebt ist, der aber wiederum ein Auge auf Ottilie, die Tochter des Trikotfabrikanten Giesecke, geworfen hat. Und natürlich amüsiert man sich über den griesgrämigen, schimpfenden Giesecke, dem Inbegriff der Berliner (Groß-)Schnauze, und seinen skurrilen Zwist mit seinem Konkurrenten Sülzheimer. Doch am Schluss gibt es ja das große Happy End. Es ist das klassische Verwirrspiel, mit vielen Missverständnissen und ewig jungen Pointen, das diese Operette zu einem Klassiker seines Genres macht und auf einzigartige musikalische Weise österreichischen Charme mit Berliner Deftigkeit verbindet.

In dieser Inszenierung ist es allerdings der fränkische Charme, der dem Spiel ein besonderes Lokalkolorit verleiht. Es ist aber auch die Gratwanderung zum Kitsch, zum Possenreißen, wenn die Figuren überzeichnet werden oder die Leichtigkeit, die Spritzigkeit zu kurz kommen. In Nürnberg weit gefehlt. Hier wird kein rührseliger Kitsch gezeigt, sondern Komik und Revue-Operette im eigentlichen Sinne, mit tanzendem Chor und singendem Ballett. Das Staatstheater Nürnberg zeigt eine spritzige und urkomische Version dieser herrlichen Komödie, die in der rekonstruierten Originalpartitur der Uraufführungsversion von 1930 gezeigt wird.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Regisseur Thomas Enzinger hat nicht nur das Stück von allem überflüssigen Ballast entfrachtet, entstaubt und präsentiert ein dreistündiges Feuerwerk von Revuetheater, garniert mit Slapstick-Einlagen und Pointen und Gags, die sich auf aktuelle Ereignisse beziehen und wo die Lacher aus dem Publikum natürlich vorprogrammiert sind.

Foto © Jutta Missbach

Eine der bekanntesten Melodien aus diesem Stück, an dem neben Ralf Benatzky auch Robert Stolz mitgewirkt hat, lautet: „Im Weißen Rössl am Wolfgangsee, da steht das Glück vor der Tür! Es ruft dir zu Guten Morgen! Tritt ein und vergiss deine Sorgen!“ Enzinger gelingt es, mit seiner Darbietung das Publikum mitzunehmen, und für knappe drei Stunden scheinen tatsächlich alle Sorgen vergessen. Mit Sängern, die in ihren Rollen schauspielerisch voll aufgehen, und mit singenden Schauspielern hat das Staatstheater Nürnberg ein Ensemble zusammengestellt, das diesem Genre durchaus mit Achtung begegnet, denn nur so gelingt große Kunst. Die Ausstattung von Toto ist klassisch, alpenländisch bunt, manchmal etwas schrill und grell. Etwas überzeichnet, aber immer mit einem Augenzwinkern pointiert. Natürlich gibt es ein gemaltes Alpenpanorama mit St. Wolfgang im Hintergrund, ein paar Tische mit karierten Decken, ein großes weißes Pferd, ein paar Kühe, und fertig ist die Kulisse. Das Hotel ist ein simpler Kubus, drehbar, die Fenster mit ihren Verschlägen werden von der Bühnendecke herabgelassen. Einerseits Hotel, andererseits Kuhstall. Da wird vieles nur angedeutet, die Konzentration liegt auf dem komödiantischen Spiel, das durch die spritzige Choreographie des Ensembles von Markus Buehlmann mit schnellen Wechseln und Umzügen eine raffinierte Note erhält.

Der Star des Abends ist das Ensemble. Allen voran Volker Heißmann als Zahlkellner Leopold. Dem fränkischen Publikum schon lange als „Mariechen“ des Comedy-Duo „Waltraud und Mariechen“ bekannt, seit fast 20 Jahren eine Institution der fränkischen Fastnacht. Und mit dem sprachlichen Heimvorteil hat er das Publikum ganz schnell auf seiner Seite, zumal er Pointen ganz aktuell einbaut. Für die Ankunft des Kaisers Franz Joseph, dem zu Ehren das Volk die Hymne O du mein Österreich singen soll, bindet Heißmann das Publikum mit ein, das sich, angeleitet durch ihn, zu Ehren des Kaisers von seinen Plätzen erhebt und voller Inbrunst die Hymne intoniert. Natürlich nicht ohne den vorherigen Hinweis, dass Deutschland bei der Fußball-EM ausgeschieden sei und es ja jetzt egal sei, welche Hymne man singe. Ein witziger Einfall, der beim begeisterten Publikum ankommt, das sich auf eine schöne Art für einen kleinen Moment als Teil dieser Inszenierung verstehen darf. Aber Heißmann kann nicht nur Comedy. Sein galanter und charmanter Tenor verleiht dem liebeskranken Oberkellner aus dem Frankenland eine ganz besondere Note. Schauspielerisch zeigt Heißmann sein ganzes Können; mit großem Ausdruck und noch mehr Leidenschaft erobert er das Publikum und letztendlich die Rössl-Wirtin. Dass er noch mit dem Saxophon auf die Bühne kommt und selber spielt, ist das Sahnehäubchen auf eine großartige schauspielerische und sängerische Darbietung.

Heike Susanne Daum als etwas spröde wirkende Rössl-Wirtin Josepha Vogelhuber harmoniert stimmlich mit ihrem warmen und reifen Sopran prächtig mit Heißmann. Der Schauspieler Frank Damerius als Trikotagenfabrikant Wilhelm Giesecke gibt die Berliner Schnauze mit Herz so komisch und so bissig, dass man diesem alten Kotzbrocken wahrlich nicht lange böse sein kann. Die Sopranistin Isabel Blechschmidt ist eine reizende und verführerische Ottilie mit warmem Timbre, der Martin Platz als Rechtsanwalt Dr. Siedler mit schlankem Tenor und charmantem Spiel nicht widerstehen kann. Herrlich komisch agiert Wolfgang Gratschmaier als schöner Sigismund Sülzheimer aus Sangerhausen, und Eva-Maria Pausch verzückt als lispelndes Klärchen und Objekt seiner Begierde. Andrea Jörg führt jodelnd in die einzelnen Aufzüge der Handlung ein und liefert sich zur Freude des Publikums ein lautstarkes Duell mit einem nervtötenden Hahn. André Sultan-Sade gibt einen völlig abgedrehten Piccolo Gustl, und Erik Raskopf als Prof. Hinzelmann ist ein leiser Kontrast zum lauten Giesecke. Richard Kindley als Kaiser Franz Joseph berührt mit der Weisheit S‘ ist einmal im Leben so mit majestätischer Würde und leisen Tönen.

Auch musikalisch bietet der Abend beste Unterhaltung. Taarmo Vaask und die bestens aufgelegte Staatsphilharmonie Nürnberg präsentieren eine gelungene Revue-Operette,  in der die Melodien von Ralph Benatzky und Robert Stolz jung und frisch erklingen. Die unterschiedlichen Musikstile vom Walzer bis zum Jazz werden modern und pfiffig interpretiert, und man muss sich schon sehr zurücknehmen, um die bekannten Schlager nicht mitzusingen, so einladend wird im Graben musiziert. Der Chor des Staatstheaters Nürnberg, ebenfalls von Taarmo Vaask gut einstudiert, zeigt große Spielfreude, während die Damen und Herren des Balletts nicht nur dank Markus Buehlmann ihr klassisches Repertoire zeigen können, sondern auch über passable Gesangsqualitäten verfügen.

Das Publikum, das schon während der Aufführung kaum an sich halten kann, jubelt am Schluss fast schon frenetisch dem gesamten Ensemble einschließlich der Musiker zu. Es sind erstaunlich viele junge Menschen im Publikum, und die haben eindeutig ihren Spaß. Vielleicht entdeckt der eine oder andere seine Liebe für dieses Genre und kommt wieder. Nervig dagegen die vielen überflüssigen Kommentare des eher älteren Semesters, vorzugsweise bei den leisen Tönen, eine immer wiederkehrende Unart in der Operette. Aber mit dieser liebenswert verrückten Inszenierung spricht das Staatstheater Nürnberg alle Generationen an, und das allein ist bemerkenswert und verdient Applaus.

Andreas H. Hölscher