Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Stephen Cummiskey

Aktuelle Aufführungen

Così fan tutti

COSÌ FAN TUTTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
17. Oktober 2016
(Live-Übertragung)

 

Royal Opera Covent Garden
im Schlosstheater Münster

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Theater, haben dort Mozarts und DaPontes Abhandlung über die Schule der Liebenden gesehen, besser bekannt als Così fan tutte. Die Sänger treten vor den Vorhang und verbeugen sich, während Sie nun mit Ihrem Nachbarn oder Partner eine Diskussion über die Oper und ihren Wahrheitsgehalt beginnen. Da steckt der Sänger des Don Alfonso seinen Kopf aus dem Vorhang raus und mischt sich ein, er wisse schon, wovon er redet, und schon beginnt das Spiel aufs Neue. Mit diesem kleinen, aber genialen Kniff beginnt Regisseur Jan Philipp Gloger seine Interpretation der Così an der Royal Opera Covent Garden, die einmalig nicht nur in London zu sehen ist, sondern auch weltweit in den Kinos, darunter auch im schönen, schnuckeligen Schlosstheater in Münster. Das ist eines der wenigen Kinos der Stadt, das sich neben dem großen Cineplex behaupten kann und seinen ganz eigenen Charme mit sich bringt. Während im Großkino an den Samstagen die Opern aus New York übertragen werden, bekommt das Publikum unter der Woche die Aufführungen aus London und Paris im Schlosstheater zu sehen. Der Markt an Liveübertragungen ist groß geworden, die Sensation des Anfangs verflogen, die Vergleichsmöglichkeiten sind vielfältig. Etwas abgenutzt hat sich das Klassikevent schon. Doch dann gibt es diese Übertragungen, die sich als Perle herausstellen. Und die Così ist so eine Perle.

Angefangen bei der Musik bis zur Regie stimmt einfach alles an diesem Abend, und es ist für Berufstätige ein langer Abend, denn gegen 23 Uhr am Montagabend ist dieser Augen- und Ohrenschmaus erst, oder zum Glück so spät, vorbei. Doch langweilig ist dieser Abend nie. Gloger bringt das Kunststück fertig, die Oper auf der einen Seite ins Heute zu verlegen und bekommt dabei fantastische Hilfe durch die Kostümbildnerin Karin Jud. Auf der anderen Seite kann er sie ganz werkgetreu und spielerisch erzählen. Denn ausgehend aus der Anfangssituation spielt die Geschichte die ganze Zeit im Theater. So kann sich Ben Baur auch vielseitige Sets ausdenken, in denen er einerseits Säle der Royal Opera nachbaut und anderseits scheinbar den Theaterkeller auf die Bühne fährt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Während die Herren der anfangs diskutierenden Pärchen, Guglielmo und Ferrando, sich übermutig in das Spiel mit den Gefühlen stürzen, werden ihre Damen, Fiordiligi und Dorabella, dank der schnellen Ortswechsel geradezu hineingezogen. Sie haben kaum eine Wahl und werden anfangs daher auch zu Recht von den vier früheren Paaren, den anderen Versuchskaninchen, mitleidig beobachtet. In einer ausgefeilten Personenführung zeigt Gloger, wie sich neue Gefühle unter den beiden Paaren entwickeln, wie die beiden Damen sich plötzlich für den Partner ihrer Schwester interessieren, obwohl sie die Maskerade nach und nach durchschauen. Da bekommt der Abend bei aller Kurzweil auch einen Schuss Erotik, wenn Guglielmo und Dorabella sich an- und ausziehend finden. Daher sind für Gloger nicht die Frauen die alleinigen Schuldigen, sondern die Paare an sich. Folgerichtig verändert sich im Bühnenbild am Ende sogar der Titel der Oper. In einer Leuchtschrift wird aus dem tutte, dem einzigen grammatikalischen Hinweis darauf, dass Da Ponte und Mozarts sagen wollten: So machen es alle Frauen, ein tutti. Così fan tutti, übersetzt: So machen es alle und zwar wirklich alle.

Foto © Stephen Cummiskey

Passend dazu sind auch alle musikalischen Leistungen über den Klee zu loben. Selten hat man so eine harmonische Besetzung gehört, was ja gerade bei der Così von großer Bedeutung ist. Wie sich die Sänger mit ihren Stimmen zusammenfügen, wie sie miteinander streiten, wie sie gegeneinander spielen, das ist wirklich großes Kino für Augen und Ohren. Müsste man einen schwächsten Sänger benennen, so würde die Wahl auf den Bariton Alessio Arduini fallen, der in der Mittellage recht auffallend unruhig flackert. Doch seine Spielfreude, seine Lust am Singen und Auftrumpfen kann das kompensieren. Dagegen fällt es schwer, eine beste Leistung auszumachen. Von der Schwierigkeit ihrer beiden Arien her hat Corinne Winters gute Chancen auf diesen Preis, denn wie sie Per pietà und besonders das tückische Come scoglio vorträgt, das geht weit über das hinaus, was man live erwarten kann. Herz und Technik verbinden sich in einer wunderschönen Sopranstimme zu einem Erlebnis, und wenn sie klug beraten wird, steht ihr eine große Karriere bevor. Angela Brower ist vom Namen her bereits etwas bekannter, ihre großartige Dorabella strotzt nur so von Selbstbewusstsein, wie sich in einem ausgefeilten Mienenspiel und ihrem warmen, runden Mezzosopran zeigt. Auch bei ihr wird Mozart in der Kombination aus Stimme und Elan zu einem Ereignis. Wie sie wird auch Daniel Behle als Ferrando vom Publikum gefeiert. Er singt die Partie so leidenschaftlich mit dem ganzen Körper, selbst das Piano kommt bei ihm aus dem Bauch heraus und nicht aus einem kopfigen Klang, wie man es leider so oft hört. Von wegen Mozarts Tenorpartien sind Schwächlinge, Daniel Behle ist ein ganzer Kerl auf der Bühne.

Es gibt noch einen Sieger zu feiern. Mit der Rolle des Don Alfonso gibt Johannes Martin Kränzle nicht nur sein Hausdebüt in London, sondern auch sein Comeback nach einem schweren Kampf gegen die Leukämie. Die Stimme verfügt immer noch über diesen schönen Wiedererkennungswert, und auch technisch sitzt sie nach wie vor tadellos. Damit ist Don Alfonso endlich auf musikalischer Augenhöhe mit den anderen Figuren zu erleben. Kränzles launige, leicht kauzige, leicht zynische Darstellung macht den Strippenzieher sogar zu einem Sympathieträger. Er bekommt zusätzliche Unterstützung durch eine Despina, die das Feuer im Blut hat. Sabina Puértolas bringt bei aller musikalischer Präzision das nötige Chaos auf die Bühne.

Was wäre diese Così ohne das Dirigat von Semyon Bychkov, ohne das Orchester der Royal Opera? Bychkov findet für jede Szene das passende Tempo, orientiert sich an der historischen Aufführungspraxis, ohne sie zu übertreiben. Passend zur Regie, klingt dieser Mozart ganz natürlich, unaufgesetzt und gleichzeitig so ehrlich und echt. Wunderschön warm und von der Technik bestens auf die Sänger abgestimmt, ist das Orchester mehr als nur idealer Begleiter, sondern liefert den Subtext zur Sprache. Wo hört man jemals so schön das Herz schlagen, Hormone aufkochen, Sicherungen durchbrennen, wenn nicht bei Mozart. Von den Musikern perfekt umgesetzt. Bravi!

In London wird die Produktion gefeiert, in Münster lässt es sich das kleine, aber feine Publikum gutgehen. Abgesehen von wenigen Störungen, genießen die Zuschauer Gesang und Wein, bekommen auch eine gute Ton- und Kameraregie geboten. Und um das Maß voll zu machen, gibt es keine technischen Störungen. So startet der Opernliebhaber glücklich in die neue Woche. Mal sehen, ob sie mit der Liveübertragung von Don Giovanni am Samstag ebenso gut enden wird.

Christoph Broermann