Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Oliver Berg

Aktuelle Aufführungen

Glühwein mit Verdi

FALSTAFF
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
5. November 2016
(Premiere)

 

 

Theater Münster

Kaum hat das Theater Münster zum Beginn der Saison den lebensmüden Faust auf die Bühne des Bösen geschickt, da geht es mit dem dicken Ritter Falstaff schon wieder ins Theater. Aus einer Theaterkantine heraus fordert er die lustigen Weiber von Windsor zu ihrer gemeinen Rache heraus. Alles wieder „nur“ Theater – und es findet aus der Sicht desjenigen statt, dem wir das Meisterwerk zu verdanken haben: Giuseppe Verdi durchschreitet als stummer Statist, gespielt von Wolfgang Ueffing, von Anfang bis Ende sein eigenes Kopfkino. Bühnenbildner Christian Floeren grenzt die Vorderbühne mit der angedeuteten Kantine mit einem Vorhang ab. Auf der hinteren Bühne findet sich die Domäne der „Gutmenschen“, der spießigen Bürger von Windsor, verpackt in einer opulenten Kulisse und ebensolche Kostüme. Ein Augenschmaus ist der neue Falstaff am Theater Münster auf jeden Fall.

Intendant Ulrich Peters selbst setzt die Handschrift seiner Intendanz auch auf der Bühne um. Kurzweiliges Theater erlebt man in den letzten Jahren in Münster, und der Falstaff macht da keine Ausnahme, schießt sogar ein bisschen über das Ziel hinaus. Beispielhaft dafür ist bereits die erste Szene – dieser aberwitzige verbale Schlagabtausch von Falstaff, seinen Dienern Bardolfo, Pistola und Dr. Cajus. Er geht zwischen den hin und her wuselnden Statisten fast unter, anstatt ihn zu unterstützen. Passenderweise ist die Titelfigur der Ruhepol inmitten des Chaos. Die Gleichmut des Falstaff treibt sein Umfeld schier in den Wahnsinn, hier ausgedrückt durch eine Spur zu viel Slapstick. Ständig möchte jemand dem Ritter irgendetwas hinterrücks über den Kopf schlagen, wird aber immer davon abgehalten. Auch die stellenweise sehr freien Übertitel lassen kein gutes Haar an dem Schwerenöter. Von Hamsterbacke bis Fettwanst ist alles dabei. Bei den lustigen Weibern „geht die Post ab“ und im Finale flattert auch die Fledermaus durch das Geschehen: „Glücklich ist, wer vergisst, was auch nicht zu ändern ist.“ Die letzten Worte von Verdi „Tutti gabatti“ werden in Münster ganz pragmatisch gesehen: „Feierabend!“ Er ist wohl verdient nach einem temporeichen, unterhaltsamen Opernabend.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

So ganz ausruhen auf seinem verdienten Erfolg darf sich das Ensemble allerdings nicht. Denn der Premierenabend offenbart in dieser spritzigen Musik, wo die Dialoge wie ein Feuerwerk gesungen werden müssen, noch einige Wackler. Insbesondere beim Damenquartett geht es stellenweise lustig zu, und auch Gary Martin als Mr. Ford findet im Finale des zweiten Aktes nicht so recht das Tempo, das Generalmusikdirektor Fabrizio Ventura im Graben anschlägt. Ansonsten trägt der Bariton die Rolle des eifersüchtigen Gatten gepflegt, aber nicht aufregend vor. Er ist einer der wenigen Gäste, die das Theater für diese Produktion engagiert hat. Hans Kittelmann ist aus Nürnberg für seinen komisch-steifen Dr. Cajus zu Gast. Großartig präsentiert sich aus Karlsruhe der Tenor Cameron Becker als Bardolfo mit Bühnenpräsenz und präzisen Einsätzen. Ihm zur Seite als Pistola steht eines der Urgesteine des Münsteraner Ensembles: Plamen Hidjov hat immer noch Lust auf die Bühne, und das merkt man.

Foto © Oliver Berg

Noch länger in Münster ist Suzanne McLeod, auch sie immer noch mit unermüdlicher Energie, aber leider ist ihre Mrs. Quickly gesanglich nicht immer einwandfrei vorgetragen. Lisa Wedekind darf als Meg Page vokal nicht ganz im Vordergrund stehen, spielt aber unter Volldampf mit. Alice Ford ist die Primadonna in Verdis Besetzung, und Sara Rossi Daldoss kann das als ensembleführende Stimme auch sehr gut umsetzen. Das junge Liebespaar ist in Münster nahezu perfekt besetzt: Eva Bauchmüller setzt als Nanetta mit lyrischer Ruhe einen wunderschönen Stopp vor dem großen Finale der Oper. Youn-Seong Shim präsentiert sich in Bestform. Sein idealer Fenton setzt starke, sichere Akzente in den Ensembles und auch seine Arie im dritten Akt ist mit Leidenschaft gesungen. Ansonsten scheint es die Saison von Gregor Dalal zu werden. Wie schon als Mephisto im Faust besitzt er auch als Falstaff die stimmliche und szenische Größe, um das Geschehen auf der Bühne auf sich zu fokussieren. Mancher Passage bleibt er eine Spur Agilität schuldig, aber Schwamm drüber. Dalal setzt seine Stimme variabel ein, zaubert mit feinen Nuancen und kann konditionsstark bis zum Schluss groß auftrumpfen. Wie er mit Rettungsring um den Bauch nach seinem Themsebad auf die Bühne klettert und sich auswringt, provoziert spontanen Szenenapplaus. Um sich aufzuwärmen, gibt es eine Tasse Glühwein mit dem Komponisten. In der Schlussfuge fügt sich das Ensemble noch einmal so richtig zusammen, und auch der Chor von Inna Batyuk darf sich wieder von der besten Seite zeigen.

Hier hält Fabrizio Ventura alle Fäden in den Händen, was ihm nicht immer an dem Premierenabend gelingt. Davon abgesehen macht auch dank des wirklich großartig spielenden Sinfonieorchesters dieser Falstaff so richtig Spaß. Ventura hält die Lautstärke gut unter Kontrolle und gibt dafür den pointierten Dialogen teilweise ein mörderisches Tempo. Die Pausen werden bewusst ausgenutzt, um dann die Tempi wieder schön aufzubauen. Die vielen Feinheiten in Verdis Partitur werden im Orchester hörbar: Da torkeln die Instrumente synkopisch um die Wette, die Pikkoloflöten wettern aufgeregt dazwischen. Mal ist der Klang schlank wie ein Model, mal so richtig fett aufgebläht. Die Streicher dürfen kindlich lachen, die Bläser dagegen höhnisch derbe. So ist Musik etwas Wunderbares.

Das Publikum scheint diesen Opernabend nicht geschlossen so erlebt zu haben. Die Standing Ovations, bei Premieren in Münster eigentlich eine Formsache, werden nur von einem Teil des Publikums ausgeführt. Eindeutig begeistert zeigen sich die Zuschauer bei Youn-Seong Shim und Gregor Dalal. In der etwas durcheinander geratenden Applausordnung geht die Reaktion auf das Regieteam etwas unter, aber insgesamt geht auch dieser Opernabend in Münster in einer überaus positiven, freudigen Stimmung zu Ende.

Christoph Broermann