Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Alle Fotos © Oliver Berg

Aktuelle Aufführungen

Die Flüchtigkeit des Augenblicks

COSÌ FAN TUTTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
19. Dezember 2015
(Premiere)

 

 

Theater Münster

Wie oft fragt man sich: Was wäre wenn …? Auch bei dieser beziehungsunfreundlichen Lehrstunde namens Così fan tutte möchte man sich gern wissen, wie es zwischen Dorabella und Ferrando oder Guglielmo und Fiordiligi gelaufen wäre, wenn sich die beiden Männer nicht auf diese perfide Wette mit Don Alfonso eingelassen hätten. Andreas Rosar, der Mozarts Oper am Theater Münster inszeniert, wagt in den letzten Sekunden der Oper eine Antwort. Da erscheinen im Hintergrund in einem kleinen quadratischen Kasten, von vier Statisten gedoubelt, die beiden „alten“ Paare, die sich anschweigen. Die Herren schauen in die Ferne, die Damen auf ihre Smartphones. Da nimmt Rosar Bezug auf seinen Anfang, wo sich die beiden Frauen aufs oberflächigste reduziert nur mit Brautschleiern, Einkaufstüten und Selfies beschäftigen. Derweil streiten sich die Herren, wie treu ihre Frauen denn nun sind.

Getreu der Bezeichnung Opera buffa legt Rosar die Inszenierung nicht zu ernst, aber stets geschmackvoll an. Diese Beziehungskiste unter den Opern bringt er auf einen gesunden Mittelweg zwischen ernst und albern. Spektakulär kann man seine Arbeit nicht nennen, aber mit einer sehr klugen Personenführung ist die Handlung einerseits nachvollziehbar und andererseits wird die Musik nicht unterlaufen. Außerdem sind ihm ein paar schöne Details eingefallen, etwa, wenn Despina einem Statisten unter den Zuschauern die Perücke klaut, um sich als Arzt zu verkleiden.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Während Don Alfonso von Beginn an als Spielmacher etabliert wird, wird der gute Ruf des weiblichen Geschlechtes nicht angekratzt. Vielmehr zeigt sich, durch die modernen Kostüme von Martin Warth unterstützt, die Entwicklung der beiden Paare. Sowohl Männer wie Frauen reagieren auf die neue Situation unbeholfen und neugierig gleichermaßen. Die empörte Reaktion der beiden Damen auf die neuen Verehrer entlarvt die eigene Unzufriedenheit in der alten Beziehung. Immer mehr brechen die alten Strukturen auf und gleichermaßen auch der Bühnenraum von Warth, der von Szene zu Szene immer weiter und fassadenfreier wird.

Foto © Oliver Berg

Aus dem Orchestergraben kommt dazu das rechte Zeitmaß. Fabrizio Ventura wählt ab der Ouvertüre ein recht ruhiges Grundtempo, aus dem dann manch flüchtiger Augenblick heraussticht, den man gerne festgehalten hätte. Das Sinfonieorchester Münster spielt konzentriert mit einem schönen warmen Klang und vielen kleinen Nuancen. Ganz sicher einstudiert ist diese schwierige Ensembleoper noch nicht. Es gibt viele kleine Wackler zwischen Bühne und Graben.

Doch immerhin wachsen insbesondere die Stimmen zu einem Ensemble zusammen, was gerade bei Mozart so wichtig ist. Aber auch als Individuen überzeugen sie: Sara Rossi Daldoss singt sich als Fiordiligi zuweilen fest. Darunter leidet auch die Intonation. Ihre gesamten Qualitäten zeigt sie, wenn sie technisch so konzentriert singt wie im magischen Per pietà des zweiten Aktes. Ihre Bühnenschwester Dorabella wird durch Lisa Wedekind zu einem Energiebündel mit vokaler Sinnlichkeit. Neu in Münster ist Bariton Birger Radde, und sein selbstbewusster Guglielmo zeigt, dass er bereits im Ensemble angekommen ist. Neben ihm lässt Youn-Seong Shim seinen Tenor so schön leuchten wie schon lange nicht mehr. Das Un‘ aura amorosa ist ein makelloser Augenblick. Don Alfonso ist bei Gregor Dalal etwas schwergewichtiger als gewohnt, ist aber dadurch präsenter und auch etwas gefährlicher als bei anderen Interpreten. Darstellerisch schöpft Dalal wie üblich aus dem Vollen. Dem Ganzen setzt das Nesthäkchen die Krone auf: Die junge Eva Bauchmüller ist szenisch eine Despina, die man unter ihren Perücken kaum als Person fassen kann, und dabei gesanglich so fokussiert und einmalig, dass ihr das Publikum zu Füßen liegt. Warum man den Chor aus dieser Oper gestrichen hat und seinen Part nur vom Orchester spielen lässt, bleibt ein Geheimnis.

Das Publikum ist ganz bei der Sache und verfolgt aufmerksam einen schönen Opernabend, an dem am Ende jeder verdiente Bravo-Rufe einheimsen kann. Auch für die Regie gibt es nur Beifall. Gute Stimmung in Münster am Ende des Jahres 2015.

Christoph Broermann