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Alle Fotos © Wilfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

Zerdeppert

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG
(Richard Wagner)

Besuch am
22. Mai 2016
(Premiere am 16. Mai 2016)

 

 

Bayerische Staatsoper München

Der 22. Mai gilt als Weihnachtsfest für Wagnerianer, denn der Geburtstag des Meisters bedeutet für viele die Geburt des „Kunstwerks der Zukunft“. Noch immer gibt es treue Bewunderer, die an der Wagner-Statue am Prinzregentenplatz Kränze niederlegen. Dass an diesem Abend die neue Meistersinger-Produktion an der Staatsoper ebenso wie der Lohengrin in Dresden und viele weitere Produktionen am Jubiläumstag gegeben werden, scheint zwingend. In Gips und bekränzt steht Wagner auch zwischen seinen Meistersingern bei der Freiung auf der Bühne und wird andächtig als Musenhaupt besungen. Als jedoch Stolzing versingt und wütend das Treffen verlässt, zerdeppert er die Statue auf dem Podest, Wagner liegt zerbrochen und leise Verwirrung macht sich im Publikum breit.

Das nur ein Moment einer ambitionierten und grandios gescheiterten Neuproduktion, die inszenatorisch ihren Aufwand nicht rechtfertigt. Intendant Bachler hat Schauspielregisseur David Bösch für die Oper entdeckt. Sein handwerklich sauberer, ästhetisch fragwürdiger Liebestrank am Haus hat sich zum Publikumsrenner entwickelt, optisch analoge Arbeiten liefert Bösch auch mit Peer Gynt oder Orest am benachbarten Residenztheater. Das kann man Konzept, Handschrift oder triste Eintönigkeit nennen. Auch die Meistersinger erscheinen dank Stammbühnenbilder Patrick Bannwart einer finsteren Unna-Trilogie entstiegen. Nürnberg wird zur heruntergekommenen Plattenbausiedlung, der Meisterbräu-Laster parkt an der Rampe, Sachs werkelt im Wellblechlaster, Baukräne stehen herum, wenig Licht und viel Grau ergeben eine fade Stimmung: Bonjour, tristesse. Dank Pogners Zuhälterkarre und einem zentral eingesetzten Hebekran füllt sich somit zumindest die Staatsoperngarage. Meentje Nielson erfüllt das Konzept, indem sie Stolzing freilich in Lederjacke, Turnschuhenh und T-Shirt samt Kopfhörern auftauchen lässt, sonst wenig fränkische Tracht, bieder heruntergekommene Sakkos und Resterampe. Das sieht nach Castorfs Ring aus, doch es fehlt die kontroverse Konsequenz.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

In dieser Szenerie will Bösch nach eigenen Aussagen den Komödianten Wagner entdecken. Er erkennt Molière und Commedia-Elemente, was für ihn bedeutet, dass Schwarz als wurstsemmelkauender Wanst daherkommt und Beckmesser einen goldenen Paillettenanzug trägt. Dabei wird der Konstruktionsfehler dieser Produktion offenbar: Bösch inszeniert nicht die Musik, selten den Text, sondern lässt wie in der inhaltsleeren und nutzlosen Videoeinspielung von Falko Herold seinen eigenen Film über die Handlung laufen. Bezeichnend sind die beiden einzig funktionierenden Gags des Abends: Eine unkontrollierte Hebebühne für Beckmessers Balkonszene und das ebenfalls dem verunglückten Freier entzogene Scheinwerferlicht im Finale kalauern gegen inhaltliche Leere an. Und damit will Bösch die Tragik der Figur Beckmessers erzählen.

Foto © Wilfried Hösl

Zwangsläufig wird es irgendwann sozialkritisch, wenn Stadtaffen mit Baseballschlägern Beckmesser verdreschen und die Plattenbauten verwüsten. Das spricht für Böschs Aktualität. Stolzing ist klampfender Vagabund, der seltsamerweise noch nie gesungen hat, ein desinteressierter Alternativer mit Teenagerattitüde, David die Karikatur des Schleimers. Seine Schnapsweihe nach der Gesellenprüfung öffnet die Opernbühne hin zum Niveau eines Junggesellenabschieds im Bauerntheater.

Der erste Akt noch schleppt sich ideenlos bis zum lang ersehnten Am stillen Herd. Da langweilen sich allerdings bereits die Meistersinger. Auch die Soli werden jenseits ihrer Szenen lange und wenig inszeniert als Lebendkulisse verbraten und sitzen viel im oder auf dem Fuhrpark auf der Bühne herum. Kurze Aufregung beim Statuensturz, dann wieder Siedlungseinöde. Fliedermonolog und Wahnszene werden wie die meisten Solonummern im Sitzen gegeben. Dafür gibt es einen heißen Stuhl samt Buzzer und Stromschlägen für Stolzing beim Vorsingen. Erst im Finale dann viele Spruchbänder und großes Tableau, wobei Bösch dem Chor offensichtlich nicht traut und ihn hinter Absperrgitter und auf Gerüste verbannt.

Durchaus detailliert kümmert er sich um die intimen Szenen. Sachs macht Kaffee, kippt viel Zucker und Schnaps dazu, gießt seine Blumen, Stolzing dreht sehr oft Zigaretten. Lauter kleine, inhaltsleere Momente, die kein Konzept und keine Idee ersetzen. Die kommt dann zum Ende, da sich Bösch bemüßigt sieht, die Geschichten der Figuren auszuerzählen. Stolzing akzeptiert die deutsche Meisterzunft freilich nicht, zieht samt Gitarrenkoffer, Seesack und Evchen ab, Beckmesser knallt kurzentschlossen nicht Sachs ab, sondern gibt sich selbst die Kugel, dafür bleibt dieser belämmert auf der Bühne zurück, während allgemeines Chaos das Ende des Johannestages und Erlösung für das Publikum ergibt.

Damit ist Wagners Komödie weder erzählt, neu erfunden noch gedeutet und es bleibt einzig, doch erfolgreich die Musik.

Die Staatsoper leistet sich ein luxuriöses Sängertreffen. Gildenmeister und Wortführer Hans Sachs ist Wolfgang Koch. Die Mühelosigkeit seiner Registerwechsel, die Kraft in der für Bass konzipierten schwindelnden Höhe wechselt sanft und stark nuanciert in eine prächtige Mittellage und versinkt in ein klingendes Brummen. Immer bleibt er dabei geschickt über dem Orchester. Sein dezentes Spiel beim Fehlernageln ist stimmiger als der Rest der Inszenierung. Schön wäre es gewesen, seine Tragik durch Kochs Spieltalent zu erzählen. Erzählen kann Jonas Kaufmann den Stolzing. Er gibt den Gitarristen jugendlich flott, charmant und punktet beim Meisterlied mit gehauchten Pianoklängen und anspruchsvollen Spitzen, die an seinen Sigmund erinnern. Etwas Mühe gerade im ersten Akt hört man ihm mittlerweile an, die Stimmführung doch überzeugt ebenso wie seine Wagner-Artikulation, die wenig Konsonanten vernachlässigt. Markus Eiche ergibt sich spielerisch der Inszenierung, punktet jedoch mit sehr heldischem, weich tragendem Organ und Talent zur Pointe. Die Oktanzahl erhöht nochmals David Benjamin Bruns mit hell lyrischem, doch selten überfordertem Tenor. Sara Jakubiak gibt eine adrette, verliebte Eva mit klarer Sprache, nachhaltiger Höhe und dezenter Strahlkraft, die ausbaufähig erscheint. Nach ihren stufenweisen Erfolgen von der Rheintochter bis zur Waltraute erscheint nach ihrer Ulrica Okka von der Damerau als stärkste Ensemblekraft des Hauses, als Publikumsliebling und vielseitige, farbenfrohe Sängerin mit spielerisch wie stimmlich überzeugender Lene. Christof Fischessers Zuhälter-Pogner ist routiniert, wenig inspiriert, dafür entzückt und sticht Eike Wilm Schulte aus der Sängergilde mit donnerndem Bäckerbass hervor.

Am Pult steht – wie bei Wagner üblich – Kirill Petrenko und ist Herr der Lage. Die Zärtlichkeit, mit der er beim komplexen wie schönen Chor im dritten Aufzug seine überzeugenden Sängermassen anleitet, rührt. Sein geschmeidiges, charmantes Dirigat ebbt auch in den Rezitativen nicht ab. Pathos unterstreicht er, Sänger schützt er, ist das notwendig. Spätestens im Vorspiel zum dritten Akt macht sich in München langsam Abschiedsschmerz breit, wenn Petrenko die Stadt in Richtung Berlin verlassen wird.

Deshalb feiert die Geburtstagsgemeinde den Generalmusikdirektor mit seinen Sängern. Stampf- und Bravochöre, langanhaltende Begeisterung für Kaufmann, Koch und Petrenko und die Erkenntnis über die Komplexität und Sperrigkeit der Meistersinger, die keine platte Posse entschuldigt.

Andreas M. Bräu