Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Myrzich und Jarisch

Aktuelle Aufführungen

Die Empfindungen der Komponisten

1. AKADEMIEKONZERT
(Kyrill Petrenko)

Besuch am
20. September 2016
(Premiere)

 

 

Nationaltheater München

Die erste internationale Tournee des Bayerischen Staatsorchesters in seinem langjährigen Bestehen dient auch dem designierten Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker, sich international zu profilieren und seinen Bekanntheitsgrad zu steigern. Dafür hat Kyrill Petrenko ein anspruchsvolles, breit gefächertes Programm aus Romantik und Moderne zusammengestellt und zwei Solisten, Peter Zimmermann und Diana Damrau, eingeladen. In der Heimatstadt München gestalten das Bayerische Staatsorchester, das Hausorchester der Bayerischen Staatsoper, ebendort die Eröffnung der neuen Saison.

Per königlichem Dekret wurde dem Opernorchester im 19. Jahrhundert erlaubt, außerhalb der Spielzeit eigene Konzerte zu geben, sowohl um Musikernachwuchs zu werben, als auch junge Musiker vorzustellen und weiteres Publikum zu erschließen. Aus dieser Auflage heraus wurde der Name Akademiekonzerte geprägt, eine Tradition, die ungebrochen fortbesteht. Seit der Spielzeit 2013/14 ist der Russe Kyrill Petrenko, der in Österreich aufwuchs, gefeierter Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, und dieses Konzert wurde mit großer Spannung erwartet.  Nicht zuletzt auch auf Grund der Solistin Diana Damrau, der ebenso verehrten bayerischen Solistin.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der Beginn des Abends gestaltet sich wahrlich aus dem Nichts. Dem entsteigt ein Klang, eine Musik, die sich erst bilden muss. Lontano ist ein Schlüsselwerk im Schaffen des ungarischen Komponisten György Ligeti, der von 1923 bis 2006 lebte. Als Flüchtling suchte er als Komponist immer nach Neuem – „einer statischen, in sich ruhenden Musik, die keine Entwicklung und keine überlieferten rhythmischen Gestalten kennt“. So von ihm selbst im Text zur Uraufführung von Lontano 1967 in Donaueschingen formuliert. Langsam schwillt die Musik wie ein klarer Fluss an. Ohne Aufregung, ohne Hindernisse, aber auch ohne erkennbaren Rhythmus oder Melodie. Chromatisch und polyphon zugleich wirkt die Klanggestaltung. Der Gesamtklang bleibt weich, auch wenn bizarre Harmonien eine Auflösung suchen. Kyrill Petrenko dirigiert unaufgeregt, ruhig und entlockt insbesondere den Bläsergruppen in ihrer schwierigen Aufgabe präzise nahezu unhörbare Töne und akrobatische Läufe. Es steckt Philosophie und Psychologie im Hörerlebnis dieser kosmischen Musik. Diese Faszination der Kompositionen Ligetis hat auch ihren Weg in die Filmmusik bei Stanley Kubrick oder Martin Scorsese gefunden. 

Foto © Myrzich und Jarisch

Nicht weniger kosmisch wirken die Worte und Klänge bei Richard Strauss. Seine Vier letzten Lieder, wahrlich kurz vor seinem Tod vollendet, wirken wie ein Abschied in Inhalt und musikalischer Ausprägung, eine Auseinandersetzung mit dem Jahresverlauf, dem Leben und der Vergänglichkeit. Diana Damrau verinnerlicht das in ihrer gesanglichen Gestaltung. Samten, klar und mit einer fühlbaren Leichtigkeit entgleiten ihr die Worte immerzu verständlich und kaum vom Orchester überdeckt. Sehr harmonisch im Zusammenspiel ergänzen sich Solist und Orchestermusiker. Überladenheit, übermäßige Gemütswallungen bleiben ausgespart. Sehr direkt, ehrlich und unaufdringlich wirkt die Interpretation. Im Saal lässt sich die Spannung und Aufmerksamkeit erahnen. Begeisterungsstürme entladen sich im Anschluss, zu Recht, für diese eindrucksvolle sängerische und musikalische Leistung.

Nach der Pause fühlt sich Kyrill Petrenko, sichtlich entspannt, in der Musik Peter Iljitsch Tschaikowskys zu Hause. Gestenreich, tänzerisch führt er anschaulich die Musiker und das Publikum durch die Gefühlswallungen des Komponisten. Dessen 5. Symphonie passt in die Programmauswahl, kämpft der Komponist auch hier mit seinen Gefühlen, seiner Existenz und seinem Können. Ermattet nach einer großen Tournee durch Europa, kehrte er 1888 nach Russland zurück und begann nach zehn Jahren Pause, sein symphonisches Werk fortzusetzen. Die Ausprägung der Gefühle wird von Kyrill Petrenko mit Eleganz und Vehemenz herausgearbeitet. Die Musiker folgen ihm mit Begeisterung, ohne Konzentration und Präzision missen zu lassen. Der erste Satz, voll von Schicksalsfragen, erklingt zart, vorsichtig mit dem Schuss Traurigkeit, die der Musik Tschaikowskys innewohnt. Der dritte Satz steigt aus der Düsternis hervor und wird zum befreienden Tanz, der in einem kämpferischen Finale für die Lösung oder Erlösung mündet. Das Publikum folgt dieser spannenden und lebendigen Interpretation und findet sich am Ende in lautstarken Beifallskundgebungen wieder.

Helmut Pitsch