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Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Christian Zach

Aktuelle Aufführungen

Dreigroschenkonzert

DIE DREIGROSCHENOPER
(Kurt Weill)

Besuch am
9. Oktober 2016
(Premiere)

 

Gärtnerplatztheater München,
Circus Krone

Der diesjährige Saisonstart des Gärtnerplatztheaters beginnt nicht wie sonst üblich mit einer Eröffnungspremiere, sondern der Wiederaufnahme der letztjährigen Schlafwandlerin und einer konzertanten Aufführung der Dreigroschenoper im Circus Krone. Eigentlich hätte ein anderes Programm bereits im Haus stattfinden sollen, die Renovierungsverzögerungen aber zwangen zur Umplanung. Die Entscheidung für den rein musikalischen Abend, der Brechts Stück auf die gängigen Nummern zusammenschrumpft, wird dadurch dennoch nicht klarer. Knappe fünfundsiebzig Minuten ohne Pause erklingen die Weill-Nummern, das Libretto wurde nahezu gänzlich gestrichen, knappe Handlungsinformationen, um den verquasten Ablauf von Brechts Lehrstück nicht zu verlieren, verbleiben. Über die Zuschreibung der Dreigroschenoper, die sich bewusst einem Genre entzieht, wurde lange gestritten, über das konsequente Weglassen Brechts scharfer Dialoge lässt sich noch mehr streiten.

Ganz konzertant geht es dabei nicht zu. Auch wenn sich Intendant Josef Köpplinger im Programm nicht nennen lässt, keine Inszenierung ausgeschrieben ist, so zeigt die Umsetzung dennoch seine Handschrift. Er orientiert sich deutlich am amerikanischen Verständnis einer konzertanten Vorstellung, wie sie beispielsweise bei der legendären Sweeney-Todd-Soiree im Lincoln Center mit Bryn Terfel und Emma Thompson persifliert wurde. Die Sänger streifen auch bei ihm im Kostüm durch die Manege, das Textbuch wird effektvoll schnell von sich geworfen, die Duette ausgespielt und mit kleinen Inszenierungshilfen gearbeitet. Viel hilft das zentrierte Licht von Michael Heidinger. Zwei Joker kann Köpplinger dabei in den Zirkus werfen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Sein Haus-Chor sitzt zunächst privat, ohne Kostüm im Zuschauerraum und springt zur effektvollen Verstärkung an wenigen pointierten Stellen auf, verstärkt die Solisten und lässt süffigen Weill-Klang dank des neuen Chorstudienleiters Karl Benewitz erklingen. Zudem gesellt sich von den Münchner Kammerspielen Brigitte Hobmeier als Spelunken-Jenny unter das Gärtnerplatz-Ensemble. Neben dem lässig heruntergerissenen Salomon-Song fungiert sie als auf Stilettos schlurfende Erzählerin, als gewandte Sprecherin mit Lust zur Pointe, deren präziser Sprachrhythmus und die passende Sangesstimme für das Bordellduett und ihren Salomon-Erinnerungen an große Brechtsche Engelssoprane wachrufen. Die Dreigroschenoper war schließlich nie für Sänger und sicherlich nicht für ein Konzert gedacht.

Foto © Christian Zach

Dennoch überzeugen die Solisten, die vom jungen Maximilian Mayer als Mackie Messer angeführt werden, von dem man nach seinem doppelten Einstand im Haus künftig einiges erwarten kann. Er gibt einen schönen, nicht überzogenen Macheath, dämpft das klassische Timbre, ohne seine Wurzeln zu verraten, wirkt galant und mit präsenten Phrasierungen. An seiner Seite erscheint Nadine Zeintl als Beissl-Jenny, die ein Dreigroschenmusical gibt. Sie singt sauber, erfreut sich an der Rampe und an der Persiflage einer drögen Polly, weiß zu gefallen, wird bei Brecht und Weill jedoch nicht heimisch. Anders da Dagmar Hellberg, die mit spitzen Konsonanten und Rasierklingen-Endungen eine Hommage an Lotte Lenya gibt, nach Hair erneut ihre Vielseitigkeit beweist und spielerisch durch die Sparten und Register wandelt. Fast unterfordert, da auf seinen Choral reduziert, nutzt Erwin Windegger als Peachum seine wenigen Momente, dem man gerne etwa bei der Klassifizierung der Bettlersparten länger zugehört hätte. Neues Gesicht, frische Stimme und hübsch im Spiel erscheint als Ensemblezugang Anna-Katharina Tonauer als Lucy, deren ebenfalls klassisches Timbre nicht stört, ihr dezentes Spiel überzeugt. Auch Christoph Filler als Tiger Brown muss sich mit den Gesangseinsprengseln seiner Rolle begnügen, ihm gelingt dabei mit Mayer beim Kanonensong üblicherweise der musikalisch gelungenste Moment des Abends. Die Bande um Mackie bleibt Staffage, aus dem neuen Ensemble besetzt, auf Einzeiler und die wenigen Ensembles reduziert.

Am Pult entscheidet sich Andreas Kowalewitz für nichtorchestralen Reinklang der Weillschen Idee, wenngleich die Musiker gerade zu Beginn das sägende Quietschen unfreiwillig übertreiben. Akkordeon und Bläser sitzen, Anke Schwabe an der Orgel gibt eine gute Vorstellung. Um den Abend etwas zu ziehen, wiederholt die Band den Haifisch-Song und endet mit einer Dreigroschensuite, während sich so mancher fragt, ob es das bereits gewesen ist. Weill ohne Brecht ist wenig, gerade weil die starken Liedtexte Lust auf die Dialoge machen.

Etwas Hoffnung bleibt: Die letztjährige konzertante Vorstellung im selben Circus von Jesus Christ Superstar wird in dieser Spielzeit durch eine ordentliche Inszenierung ergänzt. Vielleicht blüht auch der Dreigroschenoper dieses Glück und bringt das Stück vor der Musik zurück, damit starke Darsteller nicht unterfordert bleiben, Brechts Idee nicht verschwimmt und die Moral auch nach dem Fressen nicht gänzlich verschwindet.

Knapper, freundlicher, teils verwirrter Applaus.

Andreas M. Bräu