Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Hans Jörg Michel

Aktuelle Aufführungen

Gefangen im schwarzen Quadrat

TANCREDI
(Gioachino Rossini)

Besuch am
8. Dezember 2015
(Premiere am 4. Dezember 2015)

 

 

Nationaltheater Mannheim

Kaum eine Inszenierung, die momentan nicht mit aufreizender Bilderflut punkten möchte, sei es per Video oder Film-Zuspielungen. Da mutet einen die Inszenierung von Gioachino Rossinis früher Oper Tancredi am Nationaltheater Mannheim fast altmodisch an, wenn auf modische Stilmittel verzichtet wird. Aber gleichzeitig ist die Produktion deshalb so wohltuend, weil es Regisseurin Cordula Däuper gelingt, den Blick des Besuchers, auch dessen inneren Blick, ganz auf die Figuren und deren Probleme zu fokussieren.

Amenaide träumt sich in die Liebe zu Tancredi hinein; der ist politisch verfolgt, kehrt aber zurück in seine Stadt, wo zwei Bürgerkriegsparteien sich mühsam zusammenraufen, um gemeinsam gegen den äußeren Feind zu bestehen. Es kommt, wie es kommen muss, ein Brief aus Amenaides Händen, eigentlich an Tancredi gerichtet, gerät in die falschen Hände und stiftet geradezu tödliche Verwirrung. Verrat, Ehre, Staatsfeindin und so weiter sind die Schlagwörter, die eitle Machthaber benutzen, um wieder allein die Stadt beherrschen zu wollen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Eigentlich blöd, so eine Oper; mal ist es ein Taschentuch, dann ein Billett, und immer könnten die Protagonisten den gordischen Knoten durchschlagen, indem sie sich die Wahrheit sagten und einander vertrauten. Aber das gibt es kaum im wahren Leben, und in der Oper schon gar nicht. So lassen Däuper und ihre Ausstatter, der Bühnenbildner Ralph Zeger und Kostümspezialistin Sophie du Vinage, Amenaide auf einem schwarzen, quadratischen Bühnenpodest wie im imaginären Käfig herumirren und ihre Gefühle ausleben.

Foto © Hans Jörg Michel

Eunju Kwon, diese bestens veranlagte junge Sopranistin, gefällt außerordentlich. Zu ihrer jugendlich-liebenswerten Ausstrahlung gesellt sich eine koloratursichere Stimme, die zwischen hingebungsvollem Zauber und schmerzlichem Ausbruch viele Nuancen einbringt. Und an  Stimmartistik verlangt Rossini seinen Sängern wirklich viel ab. Etwas weniger präsent scheint Marie-Belle Sandis in der Titelrolle des Tancredi; ihr Mezzo hat sängerisch alles drauf, aber man hat das Gefühl, dass sie nicht alles aussingt, was in der Partie stecken könnte.

Männer: beschränkt und böse. Der Böse ist Orbazzano, den es nach purer Macht dürstet und der deshalb die Tochter Amenaide seines Gegenspielers Argirio gewissermaßen als Pfand ehelichen will. Sung Ha verkörpert den Bösen mit prächtigem Bass und etwas steifem Spiel, während Filipo Adami dem Argirio unentschlossenes Profil gibt, ein bisschen selbstquälerisch, soll er doch das Todesurteil gegen seine Tochter unterschreiben. Im italienischen Fach ist Adasmi äußerst bewandert, doch wirkt sein Tenor in den Spitzen manchmal etwas eng. In kleineren Partien überzeugen Julia Faylenbogen als Vertraute Isaura und Ji Yoon als paramilitärischer Ruggiero.

Ein Glanzpunkt ist das Dirigat von Rubén Dubrovsky, der das Nationaltheater-Orchester mit Mut zur Attacke und sensibler Sängerführung zur mitreißenden Darstellung führt, assistiert vom äußerst präsenten Männerchor, den Francesco Damiani einstudiert hat. Dubrovsky macht vergessen, dass der Erstling von Rossini noch eine – fast – reine Nummernoper ist, wenn auch durch Einkürzung der Rezitative zügiger in der Anlage.

In Mannheim wird die Fassung mit tragischem Ausgang gespielt, es gibt auch eine mit Happy End. Das Publikum der hier besuchten B-Premiere ist sehr angetan von der bitteren Lovestory.

Eckhard Britsch