Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Alle Fotos © Martina Pipprich

Aktuelle Aufführungen

Groteske Bilderschau

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
15. Januar 2016
(Premiere)

 

 

Staatstheater Mainz

Rigoletto bietet viele Interpretationsansätze. Entstanden unter strenger Zensur, strotzt diese Verdi-Oper von Inkonsequenz, Absurdität, Unglaubwürdigkeit oder gar Plattheit. Regisseur Lorenzo Fiorino löst sich zur Mainzer Premiere aus diesem Dilemma mit einer gewagten Brutalisierung der Handlung a là Grand Guignol, einem schockartigen wie billigen Horrorszenarien-Kasperletheater in Frankreich im ausgehenden 19. Jahrhundert. Damit will er das Publikum jenen Skandal nacherleben lassen, den Viktor Hugo mit der Uraufführung der Vorlage zu Rigoletto auslöste.

1830 hatte Viktor Hugo Le roi s´amuse verfasst. Im Mittelpunkt steht der französische König Franz I., der als „Roi-Chevalier“ in die Geschichte eingegangen war. Er gilt als Wegbereiter der Renaissance, als genialer Stratege und erfolgreicher Heerführer. Hugo demaskierte ihn in seinem Drama als Don Juan und Draufgänger. Nach der Uraufführung wurde das Werk von der Zensur verboten. Verdi übernahm die Geschichte und konzentrierte den Blick auf den buckligen Hofnarren des Königs. Die Doppelmoral dieses subalternen Spießgesellen barg nach seiner Sicht Shakespearsche Dramatik. Die Zensur zwang Verdi zu Korrekturen. Irritationen waren die Folge.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Regisseur Fiorino setzt sich darüber hinweg. Seine Absicht, einen Skandal erlebbar werden zu lassen, bestimmt sein Konzept. Dazu nutzt er Bilder, die die Fantasie des Zuschauers befördern, und Requisiten, die ihm ein Spiel mit den Zeitebenen erlauben.
Noch während der Ouvertüre markiert ein Scherge Häuserwände mit roten Kreuzen als Startsignal zum blutrünstigen Massaker einer Horde Landsknechte mit Gartenzwergbärten und Hunnenzopf an Kindfrauen und Mädchen, wie es unappetitlicher nicht sein könnte. Katharina Gault kombiniert dazu historische Gewänder mit aufgenähtem erigierten Penis und kleidet die puppengesichtig maskierten Opfer in theaterblutgetränkte weiße Kleidchen. Damit ist die Richtung festgelegt. Alles, was sittsam, naiv und weiblich scheint, wird bei dieser Inszenierung geschändet und blutüberströmt über den Bühnenboden geschleift. Immer wieder weht hörbar eisiger Wind im blendenden Weißlicht über den Schauplatz dieser Orgien brutalster Gewalt. Dazu passend abstrakt, deutet Paul Zoller Spielplätze und Räume an, wie sie unverzichtbar und darauf angelegt sind, das Groteske des Augenblicks noch zu verstärken. Die Brücke zur Gegenwart schafft Fioroni erstaunlich simpel. Ab dem zweiten Akt vermischt er zwei Ebenen, die Leiden und Süchte der Protagonisten mit dem ganz normalen Bühnenalltag. Während die Schergen mit dem Herzog Pläne schmieden, räumen Bühnenarbeiter das Chaos im Hintergrund auf. Wenn im dritten Akt die Pappmaché-Aufbauten brennen, scheint man im Jetzt angekommen. Das alles wirkt ein wenig bemüht. Hollywood kann es dank digitalisierter Tricks besser. Der Vorzug der Live-Bühne besteht in der Zeichnung der Charaktere.

Foto © Martina Pipprich

Paul O´Neill muss sich erst in die Rolle des Herzogs von Mantua hineinfinden. Zu Beginn des zweiten Akts im Kostümlager bietet er stimmlich und darstellerisch Höchstleitung. Mit Fioronis Vorstellung vom Herzog als einem einzig triebgesteuerten Wüstling kann er sich jedoch nicht identifizieren. Auch nicht mit der von Verdi ersonnenen Figur des Lebemannes. O´Neills La donna é mobile verklingt schön ausgesungen, aber nebensächlich unbedeutend, wie es die Situation nur zulässt.

Werner van Mechelen bietet im zweiten und dritten Akt große Oper. Als gelänge es ihm erst hier, sich der Zwangsjacke einer übergestülpten Sichtweise zu entwinden, beweist er Facettenreichtum durch differenzierte Gestaltung und Intensität. Marie-Christine Haase belebt die Figur der Gilda, wie sie ihr Vater erschuf. Naiv, unwissend, fern jeglicher Kultur und Bildung, ein Opfer, dem nicht nachzutrauern ist. Mit engelsgleicher Stimme, strahlend, geschmeidig, kraftvoll, in zartesten Pianissimo-Partien durchdringend, ergreifend rührt sie das Publikum und weckt Mitleid ob ihres unverschuldeten Schicksals. Die Vergewaltigung durch den Vater, die Fioroni konkret zeigt und damit eigentlich billig abtut, reicht viel tiefer. Davon überzeugt Haase das Publikum durch ihre ganzheitlich stimmige Verkörperung.

Überhaupt bleibt die Musik von der überzeichneten Horrorschau unbeschadet. Souverän von Clemens Schuldt geleitet, bietet das Philharmonische Orchester Mainz dramatische Hochspannung. Nahtlos fügt sich der Herrenchor von Sebastian Hernandez-Laverny am Staatstheater Mainz ein, klangschön erzeugt er im dritten Akt orchestrale Dichte, um die Dramatik des Augenblicks zu verstärken.

Am Ende zeigt sich das Publikum gespalten. Buh-Rufe und bravi-Bekundungen mischen sich in einen Applaus, der vor allem den durchweg überzeugenden sängerischen und musikalischen Leistungen gilt.

Christiane Franke