Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Oliver Fantitsch

Aktuelle Aufführungen

Die Legende vom Künstler

HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN
(Jacques Offenbach)

Besuch am
13. November 2015
(Premiere)

 

 

Theater Lübeck

Hoffmann als ein vom Leben enttäuschter, die Liebe nie gekannter, in seiner Verzweiflung wütender, verzweifelt-komischer, nicht zu rettender, lebensmüder, mittelalter Mann, der sich das Leben nimmt. Sein Beruf, seine Berufung? Kann alles gewesen sein, wenn er denn je an etwas geglaubt hat oder einer Sache ernsthaft nachgegangen ist. Er ist die gesamte Vorstellung lässig und in betont gleichgültig Pose in ballonseidener Sporthose zu bewundern.

Und die Sache mit der Kunst? Ist er nicht Künstler und Dichter? Wird er nicht von der Muse gerufen und begleitet in ein neues, auf Liebe verzichtendes, überhöhtes, und rein der Kunst gewidmetes Leben? Nicht so in dieser Produktion, in der Florian Lutz alle schöngeistigen Klischees, sentimentalen Attitüden in seinem Regiekonzept streicht und konterkariert. Schön krass zum Beispiel mit einer unmittelbar der Barcarole folgenden, bei hochgefahrener Unterbühne gekrachten Einlage einer Rockband mit Jan Stöber an der E-Gitarre, Till Baumann am E-Bass und Benjamin Schmidt am Drum-Set. Die Jungs hauen mächtig drauf und begleiten unseren verzweifelten, wütenden Jean-Noel Briend als rockenden Hoffmann, der sich zu einem ‚chant brachique’ mit Motiven aus der Oper über die Liebe auskotzt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Seine Erzählungen beginnt er schon im Rollstuhl mit desillusionierter Geste – und das wird den ganzen Abend so bleiben, außer wenn er mit dem Spaß des Verzweifelten gegen sein Elend aufbegehrt. Dabei braucht er nicht mal den Alkohol – das Leben ist auch so schon aussichtslos genug. 

Er hat sie geliebt, seine Stella, die berühmte Opernsängerin, ist ihr in allen ihren Erscheinungsformen nachgejagt. So als Olympia, die in einem Fitnesscenter und moderner Schönheitsklinik als vielfach am Körper geschnibbelte, künstlichen Riesen-Busen tragende und anderweitig stilisierte Kunstpuppe erscheint und kein Auge für ihn hat. Als Sängerin Antonia, die ihn für die Karriere als Gesangsstar links liegen lässt, und schließlich als Giulietta, die als femme fatale sein Spiegelbild fordert, worauf er in der Verzweiflung und wohl auch aus Lebensüberdruss mit dem eigenen Selbstmord reagiert.

Und die Muse, sein Freund Nicklausse? Sie erscheint als Personifizierung einer staatstragenden Ministerin für Kunst, die das von ihr selbst zitierte Adorno-Zitat ganz am Anfang auch nicht versteht. Sie bleibt Hoffmann und allem, was in ihren Augen als künstlerisch gelten darf, mit ungebrochener Zuneigung, mütterlicher Wärme und unerbittlicher Zuversicht zugetan, ganz unabhängig davon, wie sich das ungezogene Kind Hoffmann auch gerade wieder einmal daneben benimmt. Eine Begegnung kommt nicht zustande. Aber man möchte wohl dennoch wünschen, dass eine solche fördernde Person und Institution auch zukünftig den Künstlern gewogen bleibt, beispielsweise in Halle oder nicht zuletzt dem Theater Lübeck.

Foto © Oliver Fantitsch

Folgerichtig auch der Schluss: Hat schon die gesamte Handlung auf der Hinterbühne eines Opernhauses stattgefunden, auf der sich vom imaginären, jubelndem Publikum die angebetete Stella immer wieder feiern lässt, so spielt die Apotheose mit einem Chor in Alltagskleidung und bei Neonlicht auf der entzauberten Bühne. Eine ernüchternde Veranstaltung ohne Verklärung und „schöne“ Opernklischees. Die Szene widersetzt sich dem hymnischen Charakter der Musik. Sie weist ins Nichts.

Das Konzept ist schlüssig und souverän umgesetzt mit den Kostümen von Mechthild Feuerstein, der Bühne von Martin Kukulies und der Lichtgestaltung von Falk Hampel.

Stimmlich und darstellerisch überragend Fabienne Conrad in den Rollen der vier Frauen, die ihrem Affen richtig Zucker geben darf als Riesenbusen tragende Olympia im Fitnesscenter, begleitet vom Model Daisy Reineke und dem Bodybuilder Oliver Reinhardt. Hoffmann wird in all seinem Weltschmerz und seiner Verzweiflung gleichwohl stimmlich recht potent von Jean-Noel Briend verkörpert. Der Gegenspieler ist in allen seinen vier Verkörperungen Gerard Quinn. Die staatstragende Muse wird von Wioletta Hebrowska stimmlich und auch in der Darstellung so kraftvoll, warm und verführerisch gestaltet, dass sich ihr kein Zuhörer und Künstler zu entziehen vermag.  Die Figuren von Andres, Cochenille, Frantz und Pitichinaccio werden stimmlich und darstellerisch überzeugend von Guillermo Valdes dargestellt. Das Ensemble wird abgerundet mit den zuverlässigen Leistungen von Hyungseok Lee als Spalanzani und Nathanael, Steffen Kubach als Peter Schlemil und Hermann sowie Taras Konoshchenko als Crespel und Maitre Luther.

Der Chor unter Leitung von Joseph Feigl und Jan-Michael Krüger wird den Aufgaben gesanglich und mit Spielfreude gerecht.

Lübecks Generalmusikdirektor Ryusuke Numajiri leitet das Philharmonische Orchester in der neuen Fassung der Oper von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck mit teilweise zurückgenommenen Tempi und hoher Anforderung an akkurates Spiel der Orchestergruppen. Das legt insbesondere im Antonia-Akt viele neue, so nicht gehörte Klangmischungen auf. Hinsichtlich der Agogik hätte eine gewisse französische Flexibilität dem Werk an einigen Stellen gleichwohl gut angestanden.

Großer Jubel, in den sich während der Aufführung bei der Rockeinlage einige kraftvolle Buhrufe mischen, die sich beim Regieteam am Schluss schon wieder weitgehend beruhigt haben. Bravo-Rufe für alle Protagonisten der Hauptrollen, am längsten und lautesten bei Fabienne Conrad, Blumen für Wioletta Hebrowska als Muse.

Achim Dombrowski