Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Oliver Fantitisch

Aktuelle Aufführungen

Liebe im Zeichen des Todes

I CAPULETI E I MONTECCHI
(Vincenzo Bellini)

Besuch am
8. APril 2016
(Premiere)

 

 

Theater Lübeck

Für eine gelungene Bellini-Inszenierung muss ein Opernhaus eine Menge aufbieten können: Grandiose Sänger für die Hauptpartien, ein kluges Regiekonzept, das die Handlungselemente einem heutigen Publikum spannungsvoll nahebringt, ohne den Duktus und die explizite Langsamkeit der „endlosen“ Melodie Bellinis zu doppeln oder zu relativieren, und die Fähigkeit und Leidenschaft zur darstellerischen Hingabe der Protagonisten, die wahrlich mit der Anforderung der stimmlichen Aufgaben bereits mehr als gefordert sind.

In seiner ersten Arbeit für Lübeck lässt Michael Sturm zusammen mit seinem Ausstatter Stefan Rieckhoff die Handlung im Ambiente der sizilianischen Mafia stattfinden. Dabei beschränkt er sich klug auf wenige typisierende Elemente, soweit die zur Verdeutlichung der archetypischen Gewaltspirale zwischen den Familien oder anderen Interessengruppen erforderlich sind. Die Begegnung der jungen Liebenden steht dabei ganz zart und kontrastierend-leuchtend vor dem Dunkel der Machtkämpfe der gegnerischen Gruppen, deren Teil sie ja unausweichlich bleiben. Giulietta springt bei Sturm im Angesicht ihres eigenen Vaters am Schluss in den Tod, womit der sein zweites Kind verloren hat. Gestisch wirkt das zugleich wie ein Verweis auf spätere Werke der Operngeschichte, deren Komponisten Bellini sehr geschätzt haben: Senta in Wagners Holländer und Tosca in Puccinis Oper.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Dem Bühnenbild und Lichtkonzept von Benedikt Kreutzmann kommt bei dieser gelungenen Umsetzung ganz erhebliche Bedeutung zu. Die Bühne besteht aus massiven Holzlatten, welche in ihrer einfachen und schroffen Direktheit den Geschlechtertürmen nachempfunden sein mögen und zügig durch kluge Nutzung der Drehbühne die relevanten Raumeindrücke für die Balkonszene, den Platz für Begegnungen der verfeindeten Clans und die anderen Orte vermittelt, ohne den Handlungsfluss zu hemmen.  

Foto © Oliver Fantitsch

An der entscheidenden Schnittstelle für die Realisierung der Regie glänzt eine Sängerdarstellerin aus dem Lübecker Ensemble, die das Gelingen des großen Abends garantiert: Wioletta Hebrowska ist Romeo. Sie bietet genau all das, was eine erfolgreiche Bellini-Produktion heute braucht. Sie spielt Romeo mit todesmutiger Leidenschaft für seine Giulietta und hat doch zugleich das verheerende Selbstbewusstsein seines Standes und siegesbewussten Clans, das das Paar in den Abgrund reißen wird. Sie wirft sich mit aller ihrer stimmlichen und darstellerischen Kraft rückhaltlos ins Zeug, wobei ihr gesangliches Potenzial und ihre frische, unbekümmerte Jugendlichkeit keine Grenzen zu kennen scheinen. Die Mezzosopranistin scheint der Auftritt in der Hosenrolle noch besonders anzuspornen. Sie reagiert auch mit großer Empathie auf die anderen Darsteller, so dass sich die gesamte Handlung in ihrer Person wie in einem Prisma spiegelt. In allem ihrem Spielen und Singen bildet sie zusammen mit dem Regiekonzept die entscheidende Achse für den Erfolg der Produktion. Eine große Leistung!

Evmorfia Metaxaki als introvertiert-engelhafte Giulietta und Andrey Valiguras als Capellio in seinem teilweise steifen Auftritt sind ebenfalls aus dem Ensemble besetzt und werden ihren Rollen stimmlich sehr gut gerecht. Ihre Defizite bei der Spielfreude fallen durch die Überlegenheit des feinnervigen und inbrünstigen Spiels der Hebrowska weniger ins Gewicht.

Mit intensiver Bühnenpräsenz präsentiert Daniel Jenz den Tebaldo. Die Stimme öffnet sich im Verlauf des Abends mehr und mehr zu einem wunderschönen Tenor-Timbre, der etwas gedeckte und indirekte Ton zu Beginn mag der Nervosität des Premierenabends geschuldet sein. Hyungseok Lee als Lorenzo wird dem ruhenden Pol des Vaters Lorenzo in jeder Hinsicht gerecht.

Chor und Extrachor des Theater Lübeck unter der Leitung von Jan-Michael Krüger vermögen in ihrer gesanglichen und darstellerischen Dynamik und Agilität, die Aggressivität und Verbissenheit der verfeindeten Lager mit viel Spielfreude über die Rampe zu bringen.

Nicht genug hervorheben kann man das kongeniale Dirigat von Andreas Wolf, der ganz offensichtlich selbst ganz intensiv und auch zusammen mit dem Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck den Proben- und Entwicklungsprozess begleitet hat. Das Orchester besticht durch eine präzise, vor allem aber allen Sängern sehr gerecht werdende, liebevolle Begleitung. Besonders hervorzuheben sind die wunderschön gespielten, anspruchsvollen Klarinetten- und Hornsoli.

Großer Applaus für alle Beteiligten, Bravorufe für die Protagonisten: Metaxaki als Giuletta und Valiguras als Capello, sowie auch für Jenz als Tebaldo. Immer wieder Bravos und tobender Applaus für die Hebrowska als Romeo. Auch das Leitungsteam Wolf, Sturm und Rieckhoff wird ausnahmslos gefeiert.

Man kann dem Theater in Lübeck zu einer solch überzeugenden Leistung mit weitgehender Besetzung aus dem eigenen Ensemble nur gratulieren – diese Inszenierung darf man nicht verpassen.        

Achim Dombrowski