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Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Lorraine Wauters

Aktuelle Aufführungen

„Requiem“ für Liù

TURANDOT
(Giacomo Puccini)

Besuch am
23. September 2016
(Premiere)

 

 

Opéra Royal de Wallonie Liège/Lüttich

José Cura, einer der bekanntesten Tenöre des italienischen Fachs, gehört zu den wenigen Sängern, die sich auch als Regisseur behaupten können und dabei weit über den Tellerrand ihres Sänger-Daseins hinüberblicken. Die enge Freundschaft zum Intendanten der Opéra Royal de Wallonie zu Lüttich, Stefani Mazzonis di Pralafera, führt den Tenor jetzt zum zweiten Mal in die belgische Stadt, wo er in Puccinis letzter Oper Turandot nicht nur Regie führt, sondern auch das Bühnenbild kreiert und zudem noch die Partie des Kalafs übernimmt.

Auch wenn mit der neuen Produktion zum effektvollen Saisonauftakt die Rezeptionsgeschichte des Werks nicht neu geschrieben werden muss, bietet Curas Inszenierung mehr als nur eine exotisch bunte oder gar belanglose Chinoiserie wie jüngst in Bregenz, frei auch von albernen Mätzchen des bizarren Ministertrios. Dem Märchencharakter aus dem Geiste Carlo Gozzis bleibt er zwar treu, deutet das Märchen aber als leidenschaftliches Plädoyer für die Unverbrüchlichkeit echter Liebe. Und die verbürgt in dem Stück die Sklavin Liù, die für ihre Liebe in den Tod geht und nicht die kaltblütige chinesische Prinzessin. Folgerichtig belässt er es beim Fragment des unvollendet hinterlassenen Werks und verzichtet auf das prunkvolle Hochzeits-Happy-End des blaublütigen Fürstenpaars, das Franco Alfano nach Puccinis Tod hinzukomponierte. Das Werk endet bei Cura mit dem zart und dunkel verklingenden Tod der Liù, den letzten originalen Klängen aus der Feder des Komponisten.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Dunkle Farben bestimmen die ganze Inszenierung. Schemenhafte Architekturen der „verbotenen Stadt“ werden nur schwach angeleuchtet. Das Volk und die meisten Sänger sind in gedeckten Farben gekleidet. Lediglich eine Gruppe brutal agierender, weiblicher Schergen der Prinzessin zeigen sich in Weiß und Turandot selbst erscheint in einem blütenweißen Hosenanzug, zunächst verschleiert und in der Rolle des Henkers. Das Ministertrio legt lediglich in der Rätselszene reich verzierte chinesische Gewänder an. Eine der ganz wenigen landestypischen Insignien der Inszenierung.

Foto © Lorraine Wauters

Der gesamten Aufführung wohnen die munteren Mädchen des Kinderchors an der Rampe und den Seiten der Bühne bei, beaufsichtigt vom Mandarin, der ihnen zu Beginn einiges vom Stück erklärt. Es ist halt ein Märchen, auch für Kinder geeignet, wenn auch ein brutales Märchen, doch nicht brutaler als bei den Gebrüdern Grimm. Ein Märchen, in dem die aufopfernde Liebe der Liù den drohend-fordernden Machtanspruch Turandots besiegt.

Damit erzeugt Cura vor allem in den Eckakten Spannung, während er im dramaturgisch und musikalisch schwächeren zweiten Akt, vor allem der Rätselszene, vieles dem Zufall überlässt. Insgesamt jedoch gelingt ihm nach seinen erfolgreichen Inszenierungen der Cavalleria Rusticana und der Pagliacci an gleichem Ort vor einigen Jahren erneut eine recht erfreuliche Arbeit.

Und die musikalische Qualität kann sich ohnehin hören lassen. Der Erfolg ist natürlich garantiert, wenn Cura mit großem Krafteinsatz seiner mächtigen und strahlenden Stimme nicht nur das berühmte Nessun dorma schmettert. Dem hohen Stellenwert der Liù, den Cura der Partie beimisst, entspricht Heather Engebretson, die die Rolle mit lyrischer Wärme erfüllt und neben Cura zum Star des Abends avanciert. Die raumsprengende, doch in den Höhen sehr hart klingende Stimme von Tiziana Caruso in der Titelrolle hat es schwer, dieser Leistung etwas entgegenzusetzen.

Nimmt man den kernigen Bass von Luca dall’Amico als Timur und das ordentlich besetzte Ministertrio hinzu, ist es also gut bestellt um die vokale Qualität, und das will angesichts des schwer zu besetzenden Stücks eine Menge heißen. Während die teilweise weit vom Orchester entfernten Chöre in der Premiere noch mit Abstimmungsproblemen zu kämpfen haben, sorgt das Lütticher Orchester unter der kundigen Leitung von Paolo Arrivabeni für ebenso markige wie sensible Töne. Ein Dirigat, das pralle Theaterluft verströmt. Ein Sonderlob verdient der sauber und prägnant singende Kinderchor.

Das Publikum bedankt sich mit langanhaltendem, begeistertem Beifall für eine hörens- und insgesamt auch sehenswerte Puccini-Produktion mit einer Besetzung, die die der Deutschen Oper am Rhein um Klassen überragt.

Pedro Obiera