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Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Lorraine Wauters

Aktuelle Aufführungen

Im Stehen verdurstet

MANON LESCAUT
(Daniel-François-Esprit Auber)

Besuch am
10. April 2016
(Premiere)

 

 

Opéra Royal de Wallonie, Liège

Das ist nicht die beste Leistung der ambitionierten Lütticher Oper. Mit Aubers Version der bekannten Liebesgeschichte der Manon und des Chevaliers de Grieux erinnert man zwar an eine lohnende Rarität. In der Ausführung wird man dem Stück jedoch szenisch überhaupt nicht und musikalisch allenfalls durchschnittlich gerecht.

Dabei hat die knapp gefasste Romanze des Abbés Prévost um die schillernde Figur der Manon Lescaut auf der Opernbühne mindestens so nachhaltige Spuren hinterlassen wie in der Literatur. Jules Massenet ist mit dem Stoff ein Meisterwerk gelungen, und Puccini hat ihm sogar seinen internationalen Durchbruch zu verdanken. Die Opéra Royal de Wallonie zeigt derzeit mit der 1856 uraufgeführten Version von Daniel-François-Esprit Auber die früheste Vertonung des Stoffs. Ein Werk, das in seiner lyrischen, unsentimentalen und undramatischen Tonsprache dem literarischen Original näher kommt als die berühmteren Versionen von Massenet und Puccini. Allerdings wird dadurch auch eine Einbuße an Bühnenwirksamkeit erkauft, so dass das stilistisch stark an Rossini und der Opéra comique orientierte Werk gegenüber den späteren Erfolgsstücken immer einen schweren Stand haben wird.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Auber geht recht freizügig mit der Vorlage um. Ungewohnt ist die starke Bedeutung des Marquis d’Hérigny, dessen Wohlwollen sich Manon durch ihre Liebe zum schmucken Chevalier des Grieux verscherzt. Damit zollt Auber dem berühmten Bariton Jean-Baptiste Faure Tribut, während die von den Spätromantikern üppig ausgeführte Deportationsszene nur peripher berücksichtigt und sogar der jugendliche Liebhaber des Grieux recht stiefmütterlich behandelt wird.

Foto © Lorraine Wauters

Regie führt Paul-Émile Fourny, geboren in Lüttich, derzeit Direktor der Oper von Metz, der sich internationale Meriten erworben hat, in Deutschland bisher aber kaum in Erscheinung getreten ist. Obwohl er einst zum Kader Gerard Mortiers gehörte, verblüfft er jetzt durch eine Inszenierung, die den Namen kaum verdient. Zu sehen ist Oper im Stillstand. Von reflektierter Personenführung keine Spur. Selbst in der finalen Sterbeszene stehen Manon und des Grieux in der Ausstattung von Benoit Dugardyn unbeteiligt nebeneinander, bevor sich die verdurstende Dame auf der Seite eines überdimensionalen Buches auf das Jenseits vorbereitet. Ein optischer Hinweis auf die literarische Quelle des Stoffs, die allerdings mehr von intellektuellem als bühnenwirksamem Nutzen ist.

In einer Bibliothek startet die Liebesgeschichte noch vielversprechend. Studenten treffen sich, wobei es zu diversen Annäherungen und Liaisons kommt, bevor die Protagonisten der Handlung in historischen Kostümen die Handlung und ihr dann müde inszeniertes Spiel eröffnen.

Cyril Englebert trifft am Pult des Orchesters der Lütticher Oper durchaus den feinen, letztlich aber auch etwas matten Tonfall des Werks. Gesungen wird auf eher durchschnittlichem Niveau. Mit Sumi Jo konnte für die Titelpartie eine Sängerin gewonnen werden, die bereits unter Karajan zu Ruhm und Ehren gekommen ist und stimmlich die nötige Flexibilität und helle Färbung mitbringt. Die koketten Koloraturen bereiten ihr keine Schwierigkeiten, auch wenn ihrer insgesamt reifen Interpretation die nötige jugendliche Unbekümmertheit fehlt.

Ihr Liebhaber des Grieux, der bei Auber weniger zu singen hat als der noble Marquis, ist bei Enrico Casari gut aufgehoben, und den Marquis gestaltet Wlard Witholt mit nobler Stimme. Ein Sonderlob verdient Sabine Conzen als Marguerite.

Viel Beifall für eine lohnende Begegnung mit einer Rarität, die in Lüttich allerdings unter Wert präsentiert wird.

Pedro Obiera