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Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Bernd Uhlig

Aktuelle Aufführungen

Kurzes Vergnügen

STILL
(Isabell Kranabetter)

Besuch am
31. Oktober 2015
(Premiere)

 

 

Erholungshaus Leverkusen

Nach nur einer Stunde und fünfzehn Minuten ist sie auch schon wieder vorbei – die Uraufführung von Still im Erholungshaus in Leverkusen entlässt das Publikum wieder in die letzte Oktobernacht. Ob ein bleibender Eindruck geblieben ist, kann nur der einzelne entscheiden, jedenfalls kommt der Abend ohne prägnante Ecken und Kanten aus und hat mit Sicherheit niemandem weh getan – außer vielleicht den Künstlern.

Still ist eine Sammlung von Lautenliedern rund um John Dowlands Song Time stands still, für die Bühne umgesetzt als eine Tanz- und Textcollage für eine Sängerin, zwei Tänzer und einen Lautenspieler. Der Titel ist ein mehrdeutiger Hinweis. Nicht nur die wörtliche Bedeutung der Ruhe, sondern auch die englische Bedeutung des Wortes „still“, eines unveränderten Zustands, spielt mit in die Interpretation hinein. Dowlands Song dreht sich um das Thema Zeit und damit auch die Vergänglichkeit des Lebens: „Time stands still with gazing on her face, stand still and gaze for minutes, hours and years, to her give place – Die Zeit steht still, sehe ich in ihr Gesicht, bleibe stehen und lasse sie für Minuten, Stunden, Jahre auf mich wirken.“

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Das Konzept lässt bereit ahnen, dass die Interpretation nicht natürlich gewachsen ist, sondern übergestülpte Aufladung. Wie lassen sich Lautenlieder mit Tanz und einem übermächtigen, wenn auch allgemeinen Thema verbinden? Statt die Lieder das sein zu lassen, was sie sind, nämlich kleine Schmuckstücke, werden sie in einen verkopften Kontext gebettet, der ihnen nicht immer steht. Regisseur Juan Kruz Díaz de Garaio Esnaola und Dramaturgin Isabelle Kranabetter haben die Aufgabe, die vier Künstler auf der Bühne sinnig anzuordnen, dem Abend einen Rahmen zu geben. Und mithilfe der künstlerischen und sehr individuellen Persönlichkeiten gelingt ihnen das, indem sie ihnen erlauben zu sein und viel von sich selbst mitzubringen. Ob die Stein-Symbolik, die das Stück dominiert, überhaupt nötig ist, sei dahingestellt, dafür weckt der Platzregen aus Steinen das eingelullte Publikum zum Finale auf. Das Lichtdesign von Niko Moddenborg gefällt und zeigt einfühlsamen Einsatz.

Das Stück beginnt wie versprochen – still. Nur vier Stühle auf der Bühne, ein paar Kieselsteine und verheißungsvolle Laute warten verlassen im Dunkeln. Und das Publikum macht mit, es ist so leise, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte, oder auch einen Haufen Kleingeld. Wie aus dem Nichts ertönt die Stimme der Sopranistin Robin Johannsen – ein magischer Moment, wie sie ohne Begleitung das erste Lied aufführt. Mögen die Lieder auch keine halsbrecherischen Koloraturen enthalten, zeigt Johannsen, was sie kann. Wahres Talent offenbart sich erst, wenn man die Fähigkeit an den Tag legt, etwas Einfaches zu etwas Besonderem zu machen. Und das erledigt die Sängerin mit Bravour und glänzt auch mit darstellerischer Hingabe.

Foto © Bernd Uhlig

Ein Duo, das in seinem Zusammenspiel und -tanz so viel herzliche Einheit zeigt wie Luc Dunberry und Joel Gómez Suaréz sucht man sonst wohl vergebens. Die beiden Männer zeigen neben großem tänzerischem Ausdruck auch eine enorm emotionale Bandbreite, mit der sie in den Bann ziehen. Dunberry überrascht zudem mit einer sonoren und klaren Gesangsstimme, Suaréz verausgabt sich in seinem Solo mit Schellen an den Füßen. Richtig schelmisch treiben die beiden die „Handlung“ voran und tollen ausgelassen wie zwei Kinder über die Bühne, zeigen sich aber auch verletzlich, stark, empfindsam und einsam. Magnus Anderson lässt nicht nur seine Finger auf der Laute tanzen und entlockt ihr längst vergangene Klänge, auch er wird Teil der Handlung und muss sich so einiges gefallen lassen. Dass sein Spiel ohne Makel ist, ist nur die Vervollständigung der Versammlung von künstlerischer Persönlichkeit auf dieser kleinen Bühne. Darstellerisch verlangt das Konzept den Mitwirkenden einiges ab: Neben den Kieselsteinen, die barfuß betreten werden, wird über den Boden geschleift, getragen, umgezogen und auch Sängerin und Musiker müssen tanzen, aber vor allem ist Nähe gefragt – und die kann nur wirkungsvoll strahlen, wenn sie auch tatsächlich da ist.

Ein Nachteil des ruhigen Beginns ist der Fakt, dass man es mit einem Publikum zu tun hat. Zeigen sich die Leverkusener anfangs recht diszipliniert, wird die Illusion schnell zerstört: Wenn es so leise ist, dass man das Atmen der Sitznachbarn und auch alle anderen Körpergeräusche hört und zu allem Überfluss ein ganzes Fach Kleingeld auf den Boden scheppert, wünscht man sich, dass sofort ein ganzes Orchester an Musik einsetzt. Oder eben auch ein Lautenspieler. Das Publikum zeigt sich nach dem kurzen Abend durchaus angetan und applaudiert freundlich, Angehörige und Freunde auch lautstark für die Künstler und das Regieteam.

Miriam Rosenbohm