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Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © actorsphotography

Aktuelle Aufführungen

Alte Zeiten

CABARET
(Chris Walker)

Besuch am
27. Oktober 2015
(EInmaliges Gastspiel)

 

Forum Leverkusen

Die Parallelen können einen schon gruseln lassen. Im Berlin der ausgehenden 1920-er Jahre herrscht die Spaßgesellschaft. Wer es sich in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit leisten kann, feiert bis zur Besinnungslosigkeit. Schieber, Koks, die überhitzte hetero- und homosexuelle schwüle Erotik feiert in den Clubs und Bars fröhliche Urstände. Trübe sickert die Erkenntnis durch, dass die so genannten Nationalsozialisten mehr Macht erlangen könnten, als es Deutschland nutzt. Und da ist mit den Parallelen auch schon Schluss. Waren die Anhänger einer „braunen“ Gesinnung damals noch davon überzeugt, einem Heilsbringer hinterherzulaufen, sind sie heute nur mehr ewig gestrige Minderheit einer intakten Demokratie. Grund genug für Jacqueline Dunnley-Wendt, die Handlung des Musicals Cabaret in der damaligen Zeit zu belassen und auch so noch ausreichend zum Denken anzuregen.

Cabaret basiert auf dem Buch von Joe Masteroff nach dem Stück Ich bin eine Kamera von John van Druten sowie den autobiographischen Romanen Mr Norris steigt um und Leb wohl, Berlin von Christopher Isherwood. Für die Uraufführung am 20. November 1966 am New Yorker Broadhurst Theatre schrieben John Kander die Musik und Fred Ebb die Gesangstexte. Die deutschsprachige Erstaufführung fand fast genau vier Jahre später am Theater an der Wien in einer Übersetzung von Robert Gilbert statt. In Leverkusen wird die Fassung von Chris Walker aus dem Jahr 1997 gezeigt, die Dunnley-Wendt am 17. Oktober vergangenen Jahres an der Kammeroper Köln zur Premiere brachte.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Von Anfang an gefällt das Bühnenbild von Uli Wolff und Gertie Trautvetter, das bewährten Prinzipien der Kammeroper Köln folgt. Herrlich nostalgische Prospekte, die mit ihren intelligenten Anspielungen durchaus genauere Betrachtung verdienen, werden um Verschiebeelemente ergänzt, aus denen schnell neue Orte entstehen können. Um das Zimmer von Clifford Bradshaw, die Wohnung von Fräulein Schneider, den Obststand von Herrn Schulz oder den Kit-Kat-Club umzusetzen, sind präzise Handgriffe des gesamten Ensembles erforderlich. Das schafft die Authentizität von Theater und eine überzeugende Atmosphäre. Dass es mit dem Licht von Daria Schlömer und dem Ton von Jörg Moll hin und wieder hapert, fällt da nicht weiter ins Gewicht. Zumal Ben Vorhaar und Sabrina Zyla Kostüme entworfen haben, die durchaus in mehrfacher Hinsicht beeindrucken. Beginnt es zunächst vergleichsweise harmlos mit der zeitgenössischen Mode der 1920-er Jahre, schrecken die Schneider später auch vor Hakenkreuz-Binden und Judenstern nicht zurück, die Dunnley-Wendt gern in drastischer Weise präsentiert. So wie es ihr immer wieder gelingt, Momente zu zaubern, in denen einem schon mal der Atem stockt oder eine leichte Gänsehaut über den Rücken treibt. Bei aller Liebe zum Detail und der Durchdachtheit der Inszenierung, kann sich die Regisseurin die eine oder andere Plattheit nicht verkneifen.

Annette Krossa als Sally Bowles und Kevin Dickmann als Clifford Bradshaw - Foto © actorsphotography

Und obwohl man die Fähigkeit zur Personenführung, die hier an den Tag gelegt wird, manch einem Regisseur mit „größerem“ Namen wünschen möchte, zeigt die Aufführung, dass es dann letztlich doch am Charisma und Können der Darsteller liegt, ob sie zum ganz großen Wurf wird. Klaus Kranabetter wird beispielsweise als Conférencier tadellos geführt, hat ein wunderbares Kostüm, singt ordentlich, spielt konzentriert – allein, es fehlt letztendlich das Quäntchen an Dämonik, Schrägheit oder schlicht Überzeugungskraft, um vollends zu begeistern. Wenn man eine Sally Bowles à la Liza Minelli auftreten lässt, hat die Darstellerin im Grunde schon verloren. Dabei verfügt Annette Krossa über eine ausgezeichnete Modulation, spielt mit Elan, aber dem Vergleich mit der Minelli kann wohl kaum jemand standhalten. Als Krossa später mit veränderter Frisur auftritt, gewinnt sie und kann endlich zeigen, dass sie der Rolle mehr als gewachsen ist. Kevin Dickmann gibt einen wahrhaft überzeugenden Clifford Bradshaw, wenn man ihn nur lässt. Als angehender Faschist Ernst Ludwig fesselt Matthias Gerlach schon im Zugabteil und erschreckt, als er seine Gesinnung entdeckt. Ulrike Jöris füllt Fräulein Schneider hie und da etwas stereotyp aus, und ihr Partner Franz-Jürgen Zigelski mimt den Juden Schultz mitunter ein wenig theatral. Hier hätte mehr Natürlichkeit sicher gewonnen. Bei alldem geht es um Nuancen, die im Gesamtergebnis trotzdem noch eine überdurchschnittliche Inszenierung gewährleisten. Und genauso fügen sich auch die kleineren Rollen ein, die insbesondere auch in der Choreografie von Dunnley-Wendt mit ungewöhnlichen Bildern gefallen.

Im Graben scharen sich zehn Kölner Symphoniker um den Flügel der Musikalischen Leiterin Inga Hilsberg und produzieren einen fantastischen Musical-Sound, der, meist ausbalanciert, nur gelegentlich den Conférencier überdeckt. Schöner Einfall: Zum Auszug des Publikums gibt es noch eine Zugabe, die natürlich dafür sorgt, dass sich noch zahlreiche Besucher am Rand des Grabens versammeln.

Bis dahin applaudiert das Publikum im nahezu ausverkauften Haus nach den Soli und am Ende insbesondere Hilsberg.

Cabaret ist noch bei zahlreichen Gastspielen und einer Wiederaufnahme am neuen Sitz der Kölner Kammeroper in Köln-Pulheim – mit dem öffentlichen Nahverkehr gerade mal zwölf Minuten vom Kölner Hauptbahnhof entfernt – zu erleben.

Michael S. Zerban