Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Foto © Gregory Batardon

Aktuelle Aufführungen

Sprung ins Spagat

BALLETS JAZZ MONTRÉAL

Besuch am
24. November 2015
(Einmaliges Gastspiel)

 

 

 

Forum Leverkusen

Der erste Wintertag im Rheinland bringt Schneeregen auf den Straßen – und damit den Verkehr streckenweise zum Erliegen. Bei nahezu ausverkauftem Haus gewährt das Forum einen späteren Beginn von zehn Minuten. Die richtige Entscheidung, erspart sie doch ständige Türgeräusche während der Vorstellung. Immerhin hat sich „hoher Besuch“ angesagt. Die Ballets Jazz de Montréal sind zu Gast und haben ein abwechslungs- wie einfallsreiches Programm im Gepäck: Mono Lisa, ein Pas de deux von Itzik Galili, uraufgeführt 2003 vom Stuttgarter Ballett,  Kosmos in der Choreographie von Andonis Foniadakis, das im vergangenen Jahr Premiere im amerikanischen Lakewood hatte, und Harry, ein Tanztheater von Barak Marshall, das vor drei Jahren im französischen Montauban uraufgeführt wurde.

Was die Stücke eint, ist die laute, hämmernde Musik, die vom Band eingespielt wird. Und das war es im Prinzip auch schon. Komponist Thomas Höfs hat sich für Mono Lisa von einer Schreibmaschine inspirieren lassen, was ja an sich inzwischen schon anachronistischen Wert hat. Céline Cassone und Mark Francis Caserta tanzen dazu ihr kraftvolles Beziehungsgeflecht. Das siebenminütige Pas de deux ist eine Mischung aus zeitgenössischem Tanz und Akrobatik auf einer Bühne, über der lediglich zwei Scheinwerfer-Traversen angebracht sind. Das soll eine Fabrikanlage assoziieren. Ist aber sekundär. Wenn die groß gewachsene Cassone ins Spagat springt, stockt einem auch der Atem ohne zu wissen, in welcher Landschaft sie gerade unterwegs ist. Bravourös und mindestens ebenso akrobatisch unterstützt wird sie von Caserta, der die wilden und schnellen Bewegungen seiner Partnerin zuverlässig begleitet. Geschwindigkeit ist überhaupt das große Thema des Abends, das in Kosmos auf die Spitze getrieben wird.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Wenn eine Compagnie schwarz gekleideter Tänzerinnen und Tänzer im bühnennebligen, lediglich von ein paar Spots von der Seite her aufgehellten Halbdunkel in einen Geschwindigkeitsrausch gerät, findet der Unterhaltungswert schnell seine Grenzen. Da können die Leistungen der Compagnie noch so glanzvoll sein, es bleibt Gewusel. James Proudfoot treibt seine marginalen Lichtspielereien nach rund einer halben Stunde auf die Spitze, wenn er das Licht zu einem Rauschen verkommen lässt. Endgültig sind dann nur noch die Silhouetten der Tänzer erkennbar. Was als Effekt wirklich interessant und technisch gut umgesetzt ist, verliert als minutenlange Darbietung den Reiz. Es bleibt der Eindruck von Beliebigkeit bei tänzerischer Spitzenleistung.

Céline Cassone und Mark Francis Caserta - Foto © Alan Khol

Ganz im Gegensatz zu der Geschichte, die Barak Marshall vertanzen lässt. Gekonnt kleidet der Choreograf, der Harry für Ballets Jazz Montréal entwickelt hat, düstere Begebenheiten in humorvolle Eskapaden der Compagnie und erzielt so eine skurrile bis bizarre Wirkung. Wenn Harry den passenden Deckel für seinen Topf sucht, wird die Traumfrau davon abgehalten, diesen aufzusetzen. Immer wieder stirbt Harry, damit an seinem Grab, dargestellt mit Bahre und Leichentuch, despektierliche Reden gehalten werden. Immer wieder fallen Schüsse, höchst originell mit talkumgefüllten Luftballons, die zerstochen werden, imitiert. Über der Liebesarie O mio babbino caro aus Giacomo Puccinis Gianni Schicchi, in der Lauretta ihrem Vater droht, sich umzubringen, wenn sich ihre Liebe zu Rinuccio nicht erfüllt, bricht ein Krieg aus. Eingerahmt wird die dramatische Entwicklung durch Swingstücke wie Bei mir bistu shein, einem wunderbaren Slowfox oder auch Danke schoen von Bert Kaempfert, das Wayne Newton singt, mit der die 40-minütige Darbietung zum Ende kommt. Tänzerisch stehen Corps-Szenen im Vordergrund, die sowohl die Synchronisation betonen als sie auch immer wieder bewusst aufbrechen. Im humorvoll-garstigen Spannungsfeld von Liebe und Tod werden alle Konventionen getanzt und aufgehoben. Großartig.

Das Publikum, das sich auch in unpassenden Momenten nicht vom Zwischenapplaus abhalten lässt, feiert – teils mit stehenden Ovationen – ausgelassen einen im Gesamteindruck wunderbaren Tanzabend.

Michael S. Zerban