Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Paul Leclaire

Aktuelle Aufführungen

Schwarzweiß-Malen

ZWISCHEN DEN SEITEN
(Johnny Lloyd)

Besuch am
21. Mai 2016
(Premiere)

 

 

Oper Köln, Kinderoper

Keine Programmhefte, sondern informative Plakate gibt es am Eingang des Staatenhauses in Köln-Deutz an der Kasse. Die Aufmerksamkeit, die hier auf das Papier gelenkt wird, ist ein Vorbote für die Uraufführung von Zwischen den Seiten von Johnny Lloyd. Das Werk ist eine Tanzaufführung für Kinder und in Kooperation mit der Hochschule für Tanz und Musik von der Oper Köln produziert worden.

Der junge Chip leidet unter der herrschenden Hand seiner Mutter und der Gleichgültigkeit seines Vaters. Er flüchtet sich in die fantastischen Geschichten seiner Bücher hinein und wünscht sich, ein Teil von ihnen zu werden. Eines Nachts wacht er in der sogenannten Papierwelt auf, in der ihm der Phönix Papyrus begegnet. Um ein Teil dieser Welt zu werden, muss er zum Wesen im Herzen des Buches vordringen, das ihn verwandeln kann. Auf der Reise durch die Seiten des Buches treffen die Gefährten bizarre Gestalten und müssen sich der Gefahr durch die „Erwachsene“ stellen. Die geriet selbst als Kind in das Buch und blieb dort, wurde jedoch durch die Einsamkeit kalt im Herzen und zu einem Seelendieb. Das selbstlose Opfer von Papyrus hilft Chip zur Mitte des Buches vorzudringen, um dem Wesen gegenüberzustehen und die Entscheidung zu treffen, ob er in der Papierwelt bleiben will.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Parallelen zu Geschichten wie dem Zauberer von Oz, Alice im Wunderland oder der Unendlichen Geschichte sind hier wohl nicht zufällig und vielleicht auch nicht vermeidbar. Doch erscheint die Handlung insgesamt etwas überhastet, und die Auflösung zum Ende wirkt aufgesetzt. Die Beziehung Chips zu seinen Eltern wird in der Papierwelt nicht verarbeitet, doch scheinen die Unstimmigkeiten innerhalb der Familie auf einmal behoben zu sein. Nahezu sämtliche Figuren haben nur einen Auftritt und agieren auch selten untereinander, sondern zumeist ausschließlich mit Chip. Dieser bleibt oft der zurückhaltende Beobachter, wodurch den jugendlichen Zuschauern geschickt ein zugeschnittener Blickwinkel angeboten wird und diese an der Hand durch die surreale Handlung genommen werden. Die Inszenierung verzichtet gänzlich darauf, durch übertriebene Komik einfache Lacher zu erhaschen, auch wenn einige Charaktere durch ihre Überzeichnung lustige Momente erzeugen. Lloyd und der Dramaturgin Meret Kündig ist hoch anzurechnen, dass sie die Kinder ernst nehmen und ihnen die Möglichkeit geben, selbst die Zusammenhänge zu begreifen, anstatt eine Erklärung durch zu viele Dialoge auf dem Silbertablett zu präsentieren. Dadurch ist die Aufführung aber auch für Erwachsene interessant und ansprechend, zumal die zeitgenössischen Choreografien von hoher Ästhetik, Spielwitz und Poesie sind.

Foto © Paul Leclaire

Ebenso poetisch, aber auch brillant in seiner subtilen Schlichtheit ist das Bühnen- und Kostümbild von Christof Cremer. Die reale Welt besteht aus einem schwarzen Zimmer, dessen ebenso schwarze Möbel durch weiße Ränder wie gezeichnet und zweidimensional wirken. Im Gegensatz dazu hat die weiße Papierwelt einen enormen Tiefgang und kommt ohne Requisiten aus. Das Bühnenbild besteht hier aus Projektionen, die auf einen unregelmäßig angeordneten Papierhintergrund geworfen werden. Der abgebildete Wald aus dem Zimmer der Eltern, basierend auf Entwürfen von Xenia Lassak, ist dabei ein durchgehendes Motiv, das Chip unterbewusst in seine Träume einwebt. Die klare schwarz-weiße Trennung wird in den Kostümen fortgesetzt, was dem jungen Publikum die Zuordnung erleichtert, durch die spielerische Vielfalt im Design aber nie plakativ wirkt.

Die Tänzer sind bis auf die Ausnahme des Choreografie-Assistenten Nemo Oeghoede, der als Schatten in Erscheinung tritt, alles Studenten des Zentrums für zeitgenössischen Tanz. Während in den Ensemble-Einlagen einige Male die Synchronität abhanden kommt und dadurch einige Szenenbilder nicht wirklich überzeugen können, sind die vielen Solo-Einlagen gekonnt ausgeführt, wenn auch in den Bewegungen in sich häufig redundant. Besonders hervorzuheben ist hier Mirjam Schirk als Phönix Papyrus, die trotz eines gewaltigen Flügelkostüms bezaubernde Leichtigkeit und Eleganz auszudrücken vermag. Leider kann die Hauptdarstellerin Lisa Bless aufgrund der zurückhaltend geschriebenen Rolle des Chip nur selten ihr zweifellos vorhandenes großes Talent aufzeigen. Dennoch versprüht sie wie auch das restliche Ensemble eine wunderbare Freude am Spiel und der Bewegung.

Sehr eng verknüpft mit der Choreografie ist die Musik von Sven Kacirek, der die Aufführung selbst mit einem aufwändigen Schlagwerk-Aufbau alleine begleitet. Mithilfe von Loopern, Synthesizern und bewegungsabhängigen Sensoren erschafft er so aus klassischen Instrumenten ein serielles Mosaik, welches auch dramaturgisch eingreift, indem die Signale oft durch die das Publikum umgebenden Lautsprecher wandern. Während die Musik für jede Szene einzeln hervorragend funktioniert, fehlt über die gesamte Aufführung etwas die Abwechslung und die musikalische Abgrenzung der einzelnen Szenen untereinander.

Nach der letzten Szene ertönt langer Applaus vom Publikum, das etwa zur Hälfte aus Erwachsenen besteht. Die insgesamt erfolgreiche, mit verzeihbaren Schwächen in der Ausführung versehene Produktion wird sicher nicht die letzte Kooperation der Oper Köln und dem Zentrum für zeitgenössischen Tanz sein.

Sebastian Heuckmann