Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Foto © Jo Kirchherr

Aktuelle Aufführungen

Zu viel gewollt

UPDATING YOU
(Gerda König/Giada Scuderi)

Besuch am
14. Mai 2016
(Premiere am 13. Mai 2016)

 

DIN A13 Tanzcompany,
Wachsfabrik Köln

Am Rande Kölns liegt das Kunstzentrum Wachsfabrik. Die ehemalige Fabrik beherbergt heute zahlreiche Ateliers, ein Café und ein Tanzproduktionszentrum. In Kooperation mit dem Sommerblut-Festival führt die Tanzkompanie DIN A13 dort Updating You auf, ein „dokumentarisches, multimediales Tanztheaterstück rund um das Internet und zwischenmenschliche Beziehungen“. Die Kompanie besteht seit 1995 und zählt nach eigenen Angaben mittlerweile zu den profiliertesten mixed-abled-Tanzensembles weltweit. Im Kampf um sprachliche Korrektheit schrecken wir ja inzwischen vor keiner Verbiegung mehr zurück – im Zweifelsfall vertrauen wir lieber unserer eigenen Sprache nicht mehr. „mixed-abled“ nennen englischsprachige Länder Ensembles, in denen Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten gemeinsam auf die Bühne treten. Im deutschsprachigen Raum haben wir den unglücklichen Begriff der Inklusion gewählt, um endlich das zu erreichen, was eigentlich längst selbstverständlich sein sollte: Dass Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen nicht länger diskriminiert, sondern gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft werden. Daran arbeiten auch die Künstlerischen Leiter von DIN A13, Gerda König und Ralf Jesse.

Hohe Ambitionen haben sie auch, was das Stück Updating You angeht. Partizipation, Multimedialität, die Verknüpfung von Social Media und Bühne, zeitgenössischer Tanz in neuen Ausdrucksformen und brandaktuelle Themen sollen hier Hand in Hand gehen. Was auf dem Papier nach einer guten Idee klingt, setzt in der Praxis doch mehr als guten Willen voraus. Und da hapert es deutlich.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die potenziellen Zuschauer oder Besucher sollen als „Community“ bereits den Probenprozess über zeitgleich übertragene Videos im Internet verfolgen und durch eigene Stellungnahmen auch beeinflussen können. Das setzt nicht nur ein außerordentlich starkes Engagement oder involvement des Publikums voraus, sondern läuft auch der Lebenswirklichkeit zuwider. An zwei Tagen in der Woche finden die Live-Streams nachmittags um halb vier statt. Eine „On-demand-Funktion“ gibt es nicht, die Übertragungen sind also im Nachhinein nicht mehr verfügbar. Das Internet als Lebensergänzung wird hier offenbar nicht verstanden.

Foto © Jo Kirchherr

Vor der Aufführung werden die Besucher befragt, ob sie über den Internetdienst What’s App auf ihrem Smartphone verfügen. Sie können dann an einem Notebook ihre Telefonnummer eingeben, um während der Aufführung Nachrichten zu erhalten. Etwas zu machen, nur, weil es gemacht werden kann, war immer Bestandteil der Kunst. Professionell wäre allerdings, auch vor der Aufführung zu prüfen, ob die Besucher, die sich darauf einlassen, tatsächlich in den Genuss dieser Nachrichten kommen. Diejenigen, bei denen es nicht funktioniert, sind während der gesamten Aufführung verunsichert und irritiert, weil sie eben keine Nachrichten erhalten. Damit ist die Konzentration auf die eigentliche Aufführung futsch. Experiment gescheitert.

Was also bleibt, ist eine konventionelle Aufführung. Die Bühne von miegL wird von Folien beherrscht, die Projektionen und als Rückzugsräume dienen. Im Hintergrund ein Gaze-Vorhang, der das Internet repräsentiert. Davor Luft-Möbel aus durchsichtigem Plastik. Leicht zu handhaben und damit ideale Requisiten für einen Tanzabend. Weniger geeignet sind die halbtransparenten Folien für die Projektionen von Ralf Jesse. Vielleicht sind diese Video-Bilder künstlerisch wertvoll, zu viel mehr taugen die sprachverfremdeten, verzerrten Bilder aber kaum. Immerhin verdichten sich die Sprüche, die im Verlauf des Abends gezeigt werden, am Ende zu einem „Sonett“, ohne dass sich daraus dann größerer Erkenntnisgewinn ableiten ließe. Das alles wird in ein Licht getaucht, dem Gerd Weidig kaum mehr als zwei, drei stärkere Effekte abgewinnt. Langweiliger sind nur noch die Kostüme von Thomas Wien Pegelow, der die Tänzer in alltagstaugliche Bekleidung steckt.

Gerda König und Giada Scuderi haben eine Choreografie entwickelt, die versucht, möglichst viele Aspekte alltäglichen Internetlebens aufzugreifen. Ob Selfies wie auch der ständig währende Versuch der eigenen positiven Selbstdarstellung, Frustrationserlebnisse, wenn die Wirklichkeit die Internetkommunikation einholt, der Sog des Netzes, der aus Besuchern Marionetten macht, um sie schließlich in der „Wirklichkeit“ des Netzes verschwinden zu lassen. All das sind starke Momente und fordern auf, sich neben den allfälligen und allzu sehr ablenkenden Diskussionen über den – illusionären – Datenschutz über das tatsächliche Geschehen in einer Welt Gedanken zu machen, die immer mehr zu einem Paralleluniversum verkommt. Was an der Choreografie besonders gefällt, ist, dass sie nicht verteufelt, sondern aufzeigt. Schließlich hat es seine Gründe, dass Menschen in einer sich immer mehr entfremdenden Gesellschaft versuchen, in einem anderen Kosmos ihren Träumen und Wünschen hinterherzujagen. Auch dass das Netz sich ständig selbst reflektiert, wird hier nicht verschwiegen. Egal, wie abstrus das ist.

Statistische Angaben, von der Tänzerin Alma Edelstein auf Englisch vorgetragen, zeugen vom Wirklichkeitsverlust der Tanzkompanien. Goethe und Schiller sind keine Weltstars geworden, weil sie auf internationale Erfolge schielten und auf Englisch schrieben. Wie viel mehr hätten die Aussagen der Tänzerin auf Deutsch gewirkt. So nimmt das Publikum sie als bestenfalls künstlerisches Geschehen hin.

Edelstein übt sich mehr im Posieren als im Tanz. Aber das macht sie vorzüglich. In den Pas de deux mit Fabian Dirla wird es besonders stark, wenn er den Rollstuhl verlässt. Damiaan Veens und Ruben Reniers überzeugen mit ausgiebigen Soli. Ohne Wenn und Aber gefällt Yanet Barbetto sowohl in den Ensemble- als auch den Solo-Szenen.

Frank Schulte experimentiert mit neuen Klangerzeugungstechniken, mehrkanaligen Raum-Klang-Anwendungen, die er an diesem Abend vom Band ertönen lässt. Da ist nichts Neues und nichts wirklich Überzeugendes dabei. Mit Weidig hat er gemein, dass ihm zwei, drei Überraschungseffekte gelingen.

Dem Publikum im ausverkauften Saal gefällt’s. Es klatscht anhaltend. Dass am Ende der Veranstaltung Kulturmanagerin Mechtild Tellmann auf die Bühne stürmt und auf weitere Aufführungen hinweist, ist ungewöhnlich, aber vielleicht das, was uns in Zukunft erwartet.

Michael S. Zerban